• Politik
  • Protest gegen Nationalstaatsgesetz in Israel

Enttäuscht, aufgebracht, wütend

Zehntausende demonstrierten am Samstagabend in Tel Aviv gegen Nationalstaatsgesetz

  • Oliver Eberhardt, Kairo
  • Lesedauer: 3 Min.

Mehrere Zehntausend Menschen waren am Samstagabend auf den Rabin-Platz im Zentrum von Tel Aviv gekommen, israelische Fahnen, und die bunten Flaggen der drusischen Gemeinschaft in Israel in den Händen. Die Stimmung: »Wir sind enttäuscht, aufgebracht, wütend«, sagt Brigade-General (Reserve) Amal Asad. Allein schon dass so viele gekommen sind, sei ein Zeichen dafür, wie »hart der Schlag getroffen« habe.

Denn drusische Israelis demonstrieren so gut wie nie. Während die Drusen, die auf den Golanhöhen leben, die syrische Regierung unterstützen, sind die Drusen im israelischen Kernland dem Staat Israel treu ergeben: Man dient beim Militär, der Polizei, bekleidet Positionen in Politik, Justiz und Verwaltung. Ein Großteil der drusischen Israelis ist politisch konservativ, gehört der Stammwählerschaft des Likud und der rechten Partei Jisrael Beitenu von Verteidigungsminister Avigdor Liebermann an.

Umso härter hat es diese Menschen getroffen, dass nun ausgerechnet eine konservative Regierung, an der diese beiden Parteien beteiligt sind, das sogenannte Nationalstaatsgesetz verabschiedet hat. Das Gesetz definiert Israel als jüdischen Staat und schreibt Name, Flagge sowie Hymne fest. Aber vor allem wird festgelegt, dass das Recht auf nationale Selbstbestimmung allein dem jüdischen Volk zustehe und die arabische Sprache, die gemäß Verwaltungsvorschrift 1 vom 14. Mai 1948 neben Hebräisch Amtssprache ist, auch weiterhin Amtssprache bleibt, aber nicht mehr »Staatssprache« sein wird, sondern nur noch einen »besonderen Status« haben wird.

Vor allem Drusen fühlen sich durch das Gesetz schwer getroffen. Sie sehen ihre Dienste für den Staat nicht ausreichend gewürdigt. »Niemand kann uns erklären, was es bedeutet, Opfer für den Staat zu bringen«, so der einflussreiche Kleriker Scheich Mowafak Tarif in einer Ansprache vor den Demonstranten: »Wir sind stolz auf den demokratischen und freien Staat Israel. Wir haben niemals seinen Charakter als jüdischen Staat in Zweifel gestellt. Trotzdem sieht uns der Staat nicht als gleichberechtigt an.«

Das Besondere an der Demonstration war, dass auch eine Vielzahl von Politikern, Militärs und Ex-Geheimdienstlern gekommen war: Unter anderem waren die Ex-Mossad-Chefs Tamir Pardo und Efraim Halevy, der ehemalige Schin-Bet-Chef Juwal Diskin, und der ehemalige Generalstabschef Gaby Aschkenazi anwesend - neben einer Vielzahl von Politikern der Opposition und auch einigen Abgeordneten der Koalition. Dort ist man sauer darüber, dass Netanjahu die Koalitionsabgeordneten unter Androhung von Neuwahlen zur Zustimmung gezwungen hatte. Dennoch hatten einige dagegen gestimmt oder sich enthalten.

Besondere Sorge bereitet der Rechten aber auch, dass durch das Gesetz die Unterstützung einer wichtigen Minderheit wegzubrechen droht: Ein Treffen zwischen Netanjahu und Abgesandten der Drusen am Donnerstag endete vorzeitig, nachdem Netanjahu einen Kompromissvorschlag unterbreitet und ihn gleichzeitig »zum ersten und letzten Angebot« erklärt hatte. Statt das Gesetz selbst zu ändern, solle ein weiteres Grundgesetz verabschiedet werden, in dem jenen, die beim Militär dienen, »soziale Gleichheit« zugestanden wird. In Israel ersetzen diese Grundgesetze neben der Unabhängigkeitserklärung eine Verfassung.

Der Vorschlag sorgte nicht nur bei der drusischen Delegation, sondern auch bei der Opposition und in der linken Öffentlichkeit für Entsetzen: Denn es wäre die erste praktische Fortwirkung des Nationalstaatsgesetzes und würde den Grundstein dafür legen, staatliche Leistungen nur jenen zur Verfügung zu stellen, die beim Militär dienen. Israelische Araber und ultra-orthodoxe Juden sind davon befreit; eine große Zahl linker Israelis wiederum weigert sich, Dienst an der Waffen anzutreten.

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