Immerhin keine Mützenpflicht

Wie trotz Hitzebelastung in Senatsverwaltung und auf den Straßen Berlins gearbeitet wird

  • Florian Brand
  • Lesedauer: 4 Min.

Es sind 32 Grad im Schatten. Trotzdem schmeißt Andreas von Smuder den Propangasbrenner an. Er und Praktikant Erik Piesker stehen auf einem Flachdach in Schöneberg. Es ist Mittag, die Sonne knallt. Es gibt kaum Schatten auf dem Hinterhofgebäude. 40 Grad misst das Laserthermometer bei dem grauen Dachbelag. 800 Grad werden es, wenn von Smuder gleich mit dem Brenner hantiert.

Die beiden Dachdecker haben zuvor einen Teil des Belags aufgerissen, um den Zustand des Dachstuhls zu prüfen. »Das muss alles neu gemacht werden«, sagt der erfahrene Dachdecker. »Da ist kaum noch Holz übrig.« Erst kürzlich haben sich Mieter*innen im obersten Stock über einen Wasserschaden beschwert. An manchen Stellen sackt das Dach bereits so sehr ab, dass man nicht ohne Weiteres darauf laufen kann. Die beiden Kollegen müssen daher auf jeden ihrer Schritte achten.

Im schattigen Hof haben derweil Mieter*innen einen aufblasbaren Gummipool aufgebaut. Ein paar Kinder spielen im Wasser. »Kind müsste man sein«, seufzt von Smuder, während Piesker eine Gießkanne Wasser die Leiter hinaufschleppt. Ihr gesamtes Material haben sie so auf das Dach gewuchtet. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. »Hoch geht’s noch. Runter ist schwieriger«, sagt Piesker.

Wenn es zu heiß für die beiden wird, müssen sie aufhören. Das liegt im eigenen Ermessen. »Es nützt weder uns noch dem Kunden etwas, wenn das Material oder die Kollegen wegen der Hitze schlappmachen.« Aus Sicherheitsgründen arbeiten die Dachdecker stets im Team. Wenn einem etwas zustößt, kann der andere Hilfe holen. So was sei aber lange nicht mehr vorgekommen, sagt von Smuder. Ohnehin habe es in den letzten fünf Jahren kaum schlimme Unfälle gegeben. »Das man sich mal den Kopf stößt, ist normal«, sagt er. Abgestürzt sei aus dem Team der Dachdeckerei Viellechner, für die beide arbeiten, bislang noch niemand. »Es passieren mehr Unfälle im Büro. Meist aus Unachtsamkeit.« Immerhin: Weil es noch wärmer werden soll, geht es wie im letzten Jahr für alle Angestellten in den kommenden Tagen auf Kosten der Firma zum Wasserski.

Von so einem feuchten Badespaß können die Angestellten des Landes Berlin derzeit wohl nur träumen. Weit über 30 Grad Innentemperatur lassen einige der Amtsstuben eher zu einem feuchten Albtraum werden. »Wir haben ein grundsätzliches Problem, dass die Gebäude der Dienststellen überhitzen«, sagt die Vorsitzende des Hauptpersonalrates für die Behörden, Gerichte und nichtrechtsfähigen Anstalten des Landes Berlin, Daniela Ortmann. »Sie können nachts auch nicht alles sperrangelweit offen lassen, damit das Gebäude auskühlt.« Einige Mitarbeiter*innen brächten deshalb private Lüfter mit. Ebenso gibt es mancherorts flexiblere Arbeitszeiten. Aus der Senatsverwaltung für Finanzen heißt es auf Anfrage: »Wenn die Belastung durch die Raumtemperatur zu hoch wird, besteht die Möglichkeit, die bestehenden Telearbeitsregelungen flexibler zu handhaben.« Konkret heißt das, dass etwa von zu Hause aus gearbeitet werden kann. Außerdem dürfe auf leer stehende Büros ausgewichen werden, die eine angenehmere Raumtemperatur bieten.

Zuletzt hatten Mitarbeiter*innen einiger Senatsverwaltungen hitzefrei bekommen. Die von Bausenatorin Katrin Lompscher (LINKE) angeordnete Regelung für Beschäftigte ihrer Senatsverwaltung sorgt dagegen für heftige Kritik. Die Mitarbeiter*innen konnten angesichts der Temperaturen seit Dienstag drei Tage lang jeweils um 14 Uhr nach Hause gehen, ohne die versäumte Arbeitszeit nachholen zu müssen. CDU und FDP, aber auch der Bund der Steuerzahler hatten das kritisiert. Eine Sprecherin Lompschers verteidigte die Regelung dagegen als angemessen. Die Senatorin habe eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Mitarbeiter*innen.

Besondere Not haben laut Ortmann jedoch ohnehin uniformierte Dienstkräfte. So zum Beispiel die Objektschützer*innen vor der Innenverwaltung in der Klosterstraße. Sie müssen trotz brütender Hitze Kontrollgänge um das gesamte Gebäude absolvieren. »Man sucht sich natürlich die schattigste Route«, sagt ein Objektschützer, der vor dem Gebäude im Schatten steht. Er möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen.

Von Zeit zu Zeit kommen Kolleg*innen vorbei und bringen kalte Getränke. Im Winter hingegen unterstütze man sich gegenseitig mit warmen Getränken. Außerdem steht dann ein Kältebus zur Verfügung. Im Aufenthaltsraum könne zudem geduscht werden. Auch Wechselklamotten sind vorhanden. Kolleg*innen mit einer körperlichen Beeinträchtigung von mindestens 50 Prozent seien hitzebefreit, erklärt der Ordnungshüter. Die könnten zu Hause bleiben. Für alle anderen ist dieser Tage immerhin die Mützenpflicht aufgehoben. Ein Kleidungsstück mehr oder weniger? »Sie können sich ja mal acht Stunden mit einer dunklen Kopfbedeckung in die Sonne stellen, dann wissen Sie, was Sie geschafft haben.«

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