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Meşale Tolu darf Türkei verlassen

Gericht hebt überraschend die Ausreisesperre für deutsche Journalistin auf / Ehemann Suat Çorlu muss im Land bleiben

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Istanbul. Die wegen Terrorvorwürfen in der Türkei angeklagte deutsche Journalistin Meşale Tolu darf die Türkei verlassen. Ein Gericht habe die Ausreisesperre gegen Tolu aufgehoben, teilte der Solidaritätskreis »Freiheit für Meşale Tolu« am Montagmorgen mit. Der Prozess werde allerdings weitergeführt. Tolus Mann, Suat Çorlu, der im selben Verfahren angeklagt ist, werde vorerst in der Türkei bleiben müssen. Seine Ausreisesperre bleibe bestehen, heißt es in der Erklärung weiter. Die Anwältin Tolus war zunächst für eine Bestätigung nicht zu erreichen.

Tolu werde schon in Kürze in Deutschland erwartet. »Wir, der Solidaritätskreis 'Freiheit für Meşale Tolu' freuen uns, Meşale nach mehr als 17 Monaten, am 26. August, wieder in Deutschland begrüßen zu dürfen«, heißt es in der Mitteilung weiter. Zudem wurde darauf verwiesen, dass der Prozess gegen die Journalistin weitergeführt werde und ihr dabei bis zu 20 Jahre Haft drohten. »Von einem rechtsstaatlichen Verfahren kann weder für Meşale, noch für alle anderen zu unrecht inhaftierten Menschen keine Rede sein.« Der Fall Tolu hatte, zusammen mit dem des »Welt«-Reporters Deniz Yücel und des Menschenrechtlers Peter Steudtner, die Beziehungen zu Deutschland schwer belastet.

Die Entscheidung kam überraschend. Noch Ende April hatte das Istanbuler Gericht bei der Fortsetzung des Prozesses gegen Tolu entschieden, die Ausreisesperre gegen die 33-Jährige aufrechtzuerhalten. Am 18. Dezember war sie per Gerichtsbeschluss aus der Haft entlassen worden, aber mit einer Ausreisesperre belegt worden. Zuvor hatte sie mehr als sieben Monate in Istanbul in Untersuchungshaft gesessen. Zwischenzeitlich war ihr kleiner Sohn bei Tolu im Gefängnis. Die Verhandlung gegen Tolu, der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen wird - gemeint ist die kommunistische Partei MLKP -, soll am 16. Oktober fortgesetzt werden.

Die Entscheidung des Gerichts kommt inmitten einer Serie von Annäherungsversuchen der Türkei an Europa und speziell Deutschland. Mit den USA hat die Türkei sich wegen des in der Türkei festgehaltenen US-Pastors Andrew Brunson schwer überworfen. US-Präsident Donald Trump hatte Sanktionen und Strafzölle gegen die Türkei verhängt, um Brunson freizubekommen. Ankara erwiderte die Sanktionen. Das befeuerte eine Währungskrise - die Landeswährung Lira brach auf historische Tiefstände ein.

Am Mittwoch hatte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mit Bundeskanzlerin Angela Merkel telefoniert, sein Schwiegersohn und Finanzminister Berat Albayrak sprach am Donnerstag mit seinem deutschen Kollegen Olaf Scholz.

Die Türkei hatte zudem schon am Dienstag zwei griechische Soldaten aus der Haft entlassen - ihre Festnahme hatte die Beziehungen zum Nachbarland Griechenland schwer belastet. Am Mittwoch kam dann überraschend auch Taner Kılıç, Ehrenvorsitzende der in London ansässigen Menschenrechtsorganisation Amnesty International, aus der Untersuchungshaft frei. Kılıç war vor mehr als einem Jahr ebenfalls wegen Terrorvorwürfen inhaftiert worden.

Beide Fälle schienen zuvor festgefahren. Die Türkei betont immer wieder die Unabhängigkeit der türkischen Justiz - Beobachter werten die Verfahren jedoch als politisch motiviert.

Finanzminister Albayrak hatte betont, dass eine Vertiefung der Beziehungen zu Europa und langfristige Zusammenarbeit die beste Antwort auf die Bedrohung durch die USA seien. Noch im vergangenen Jahr war das deutsch-türkische Verhältnis unter anderem wegen der Inhaftierung mehrerer Deutscher in der Türkei zerrüttet gewesen.

Allerdings gehen die Festnahmen weiter. Am vergangenen Mittwoch war ein weiterer Deutscher inhaftiert worden. Ihm werde vorgeworfen, über soziale Medien Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK verbreitet zu haben, sagte sein Anwalt Ercan Yildirim. Sein Mandant Ilhami A. sei am Mittwoch in der osttürkischen Provinz Elazig festgenommen worden. Kurz darauf habe ein Gericht entschieden, der Mann müsse in Untersuchungshaft. Zuerst hatte der NDR über den Fall berichtet.

Nach offiziellen Angaben sind in der Türkei derzeit sieben weitere Deutsche aus »politischen Gründen« in Haft. Darunter ist der 73-jährige Enver Altayli, der am 20. August ein Jahr lang ohne Anklageschrift in Einzelhaft sitzen wird, wie seine Familie erklärte. Es gehe ihm gesundheitlich schlecht. Erst Ende Juli war der Deutsche Dennis E. im südtürkischen Hatay verhaftet worden. Auch ihm wird vorgeworfen, über soziale Medien Propaganda für die PKK verbreitet zu haben. Die PKK steht in der EU, den USA und der Türkei auf der Terrorliste. Gegen andere Deutsche, die aus der Haft entlassen wurden und ausreisen durften wie der »Welt«-Reporter Deniz Yücel, gehen die Prozesse ebenfalls in Abwesenheit weiter. dpa/nd

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