Die helle Ecke des Darknets

Die polnische Serie »Ultraviolet« auf Netflix

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Von Film und Fernsehen polnischer Herkunft wissen deutsche Zuschauer meist wenig. Selbst Krzysztof Kieślowskis preisgekrönter Zyklus »Drei Farben« ist eher Cineasten bekannt, während die Zeichentrickserie »Lolek und Bolek« noch zu Mauerzeiten lief. Und Roman Polanski? Stammt aus Paris, lebt in London, hat in der Heimat seiner Eltern also nur seine Wurzeln. Dabei funktionieren visuelle Medien östlich der Oder im Grunde wie die im Westen: Es gibt Endlos-Seifenopern mit mehr (»Klan«) oder weniger (»L wie Liebe«) als 3000 Folgen, dazu sportlichen Hurra-Patriotismus, überdrehte Spielshows und jenseits der zügigen Gleichschaltung durch die rechtsex᠆treme Regierung eine Banalisierung des Programms, wie wir es auch aus Deutschland kennen. Mit einer Ausnahme: »Ultraviolet«.

So nennt sich ein Kollektiv junger Freizeitdetektive, die im gleichnamigen Zehnteiler jene Verbrechen aufklären, mit denen die Staatsmacht - aus welchem (meist dubiosen) Grund auch immer - abgeschlossen hat. Gleich zu Beginn der ersten Folge ist dies ein vermeintlicher Selbstmord. Just als Ola Serafin (Marta Nieradkiewicz) ihren Freund in London verlassen hat, stürzt auf dem Heimweg der 30-Jährigen nach Łódź ein Mann von der Autobahnbrücke und stirbt. Doch obwohl sich die Augenzeugin sehr sicher ist, dass er gestoßen wurde, beurteilt die herbeigerufene Polizei den Fall als Suizid und stellt die Ermittlungen ein.

Merkwürdig, denkt sich die smarte Rückkehrerin, beginnt selbst zu recherchieren und stößt dabei im Internet auf eine Schar Gerechtigkeitsfanatiker namens »Ultraviolet«, die der polnischen Exekutive im Ganzen misstrauen und deshalb fallweise deren Arbeit übernehmen. Die leicht unwahrscheinliche, aber nicht vollends absurde Idee dazu stammt ursprünglich von der Fernsehautorin Deborah Halber (»Dexter«). Ihr Sachbuch »The Skeleton Crew« hat vor vier Jahren reale Verbrechen aufgelistet, die ebenfalls von Privatermittlern aufgerollt wurden. Unter der Regie von Jan Komasa und Sławomir Fabicki macht die Produzentin Wendy West daraus - angeblich vom eigenen Leben inspiriert - eine fiktionale Mischung aus »True Crime« und »Cold Case«.

Da Netflix seltsamerweise bis auf den Trailer kein Ansichtsmaterial zur Verfügung gestellt hat, war bis auf einige Videos der polnischen Erstausstrahlung im Original vom Herbst vorigen Jahres zwar nur wenig zu sehen. Dennoch sieht die Produktion von AXN Polska für einen (schon wegen der komplizierten Lippensynchronität) so randständigen Fernsehmarkt erstaunlich hochwertig aus. Auch in Polen, so lernt man schnell, sind Filmhelden ein bisschen hübscher als Durchschnittsbürger, Fieslinge hingegen etwas verschlagener und Pistolen selbst für Amateure erstaunlich leicht zu bedienen, sobald beide mal aufeinandertreffen. Die Hauptdarstellerin Marta Nieradkiewicz hat jedoch ebenso wie ihr Filmpartner Sebastian Fabijanski nicht nur schöne Haut und Haare, sondern eine Art rauen Charme, der mehr Interesse als Anziehungskraft weckt.

Im Zentrum von »Ultraviolet« steht aber ohnehin etwas anderes: die hoch technisierte, für Außenstehende zutiefst verrätselte, immer etwas düstere Welt der Hacker, Cracker, Datenjäger. Im Darknet - so legen es die zehn Folgen nahe - tummeln sich demnach nicht nur vereinsamte Nerds und Kinderporno-Konsumenten, sondern lässige, hippe, gesellige Menschen mit der Mission, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Und das ist ja zunächst mal eine gute Nachricht. Besonders in einer Despotie, die Polen gerade zu werden scheint.

Ab 24. August auf Netflix

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal