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Das Vorkaufsrecht der Einzelnen

Lichtenberg wollte einem Investor ein Haus wegschnappen - einige Mieter schießen quer

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 4 Min.

Es hätte das erste Haus werden können, bei dem der Bezirk Lichtenberg sein Vorkaufsrecht ausübt: Die Kaskelstraße 10/Ecke Pfarrstraße 118 mitten in der sogenannten Victoriastadt, einer ehemaligen Arbeitersiedlung mit verzierten Gründerzeithäusern, die mittlerweile fast alle saniert und hübsch aufpoliert wurden. Der im ganzen Berliner Innenstadtbereich zu beobachtende Verdrängungsprozess ist hier bereits weit vorangeschritten, die Mieten sind hoch, für Menschen mit niedrigen mittleren Einkommen sind sie kaum noch bezahlbar.

28 Mietparteien wohnen in dem Eckhaus Kaskelstraße/Pfarrstraße, darunter viele Familien mit kleinen Kindern, aber auch noch viele Altmieter mit moderaten Mieten. Ihnen droht nun der Verlust ihrer Wohnung. Die entsprechende Nachricht vom Bezirksamt lag am Mittwochnachmittag in ihren E-Mail-Fächern. Auch dem »nd« liegt die Mitteilung vor. Der Grund: Das Haus wurde kürzlich verkauft. Am 4. Juli hatten die Mieter Schreiben in ihren Briefkästen, aus denen sie erfuhren, dass der bisherige Hausbesitzer die Wohnungen in Eigentumswohnungen umwandeln ließ - 2017, kurz bevor der Kiez zum Milieuschutzgebiet erklärt wurde. Danach hätte er für die Umwandlung in Eigentum eine Genehmigung gebraucht. Der bisherige Hausbesitzer bot den Mietern an, ihre Wohnung jeweils selbst zu erwerben. Entscheiden müssen sie sich bis zum 3. September. Dazwischen lagen die Sommerferien - viele der Mieter waren im Urlaub und viele Berater, Entscheidungsträger, Mitbetroffene, die Unterstützung hätten geben können, ebenso.

Milieuschutzgebiete sollen soziale Verdrängung vermeiden und die bisherige Kiezmischung erhalten, indem Wohnraum bezahlbar bleibt. Eines der Instrumente dafür ist das bezirkliche Vorkaufsrecht: Wird ein Haus in einem Milieuschutzgebiet verkauft, hat der Bezirk das Erstkaufrecht. Das gilt allerdings nur für ganze Häuser, nicht für einzelne Wohnungen. Das Bezirksamt wollte es im Falle der Kaskelstraße 10 dennoch versuchen - mit der Argumentation, dass das Haus auch als Ganzes an den neuen Käufer gehen sollte. Eine städtische Wohnbaugesellschaft, die das Haus übernommen hätte, war schon gefunden: die Howoge. Notfalls, so heißt es, hätte der Bezirk seine Argumentation juristisch versucht durchzufechten. Ob das tatsächlich zutrifft, wollte die zuständige Bezirksstadträtin Birgit Monteiro (SPD) nicht kommentieren. Sie will sich zu dem Thema am frühen Donnerstagabend auf der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) äußern und »zunächst die Bezirksverordneten und dann die Presse informieren«, heißt es aus ihrem Büro. »Das gebietet der Respekt vor der BVV«, so Monteiro.

Allerdings hat sich mittlerweile mindestens ein Mieter dazu entschlossen, seine Wohnung zu kaufen. Damit ist die Howoge aus dem Spiel. Dieser Mieter heißt Michael Heinisch-Kirch, wohnt mit Frau und vier Kindern in dem Haus und ist im Bezirk wohlbekannt. Bis 2013 war Heinisch-Kirch Fraktionsvorsitzender der Grünen in der Lichtenberger BVV. Seit 2013 ist er Vorstandsvorsitzender der SozDia-Stiftung, die in Hochzeiten des Flüchtlingszuzugs 2015 und 2016 Flüchtlingsheime betrieb und ansonsten soziale Einrichtungen vor allem in Lichtenberg unterhält.

Heinisch-Kirch zufolge haben sich auch weitere Mieter zum Kauf entschlossen, trauten sich aber nicht, dies öffentlich zu sagen. Er selbst scheut sich nicht. Er fühlt sich gezwungen, seine Wohnung zu kaufen: Er habe kleine Kinder und wolle nicht verdrängt werden oder in schlechten Verhältnissen wohnen, wenn das Haus, bis das Gericht irgendwann sein Urteil fällen sollte, bei unklaren Eigentumsverhältnissen verwahrlose. »Das ist eine schlechte Möglichkeit, aber die einzige, die mir gesetzlich möglich ist«, sagt er dem »nd«. »Ich hätte gerne eine gemeinsame Lösung gefunden.« Dafür sei aber keine Zeit gewesen.

Er kritisiert Stadträtin Monteiro dafür, dass sie die Bewohner des Hauses nicht bereits vor einem Jahr darüber informierte, dass das Haus in Eigentumswohnungen eingeteilt worden war. »Hätten wir ein Jahr Zeit gehabt, hätten wir uns organisieren können.« Dann hätte man sich beraten lassen können, um gemeinsam - vielleicht mit Hilfe einer Stiftung - das Haus zu kaufen. Heinisch-Kirch zufolge hätten die Mieter ihr eigenes Vorkaufsrecht verloren, sobald der Bezirk dieses für sich in Anspruch genommen hätte. Das Risiko wollte er nicht eingehen.

Andere Mieter, mit denen das »nd« gesprochen hat, sind enttäuscht. Sie hätten ihr Haus gerne in städtischen Händen gesehen und unterstützten das Vorgehen der Stadträtin. Sie suchten Unterstützung auch bei Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (LINKE) und deren Parteifreunden im Bezirk. Doch in der kurzen Zeit war nichts mehr zu machen.

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Auch Hendrikje Klein, in Lichtenberg direkt gewählte Abgeordnete der Linkspartei im Abgeordnetenhaus, hat verschiedene Möglichkeiten abgewogen. Eine Idee hat sie nun Monteiro unterbreitet: Die Mieter könnten das Vorkaufsrecht nutzen und ihre Wohnung dann an eine städtische Wohnbaugesellschaft abtreten. So würde das Haus letztlich doch nicht aufgesplittet, und auch den Kaufpreis würde der Bezirk übernehmen. Das, meint Klein, bedeute aber komplizierte Vertragskonstruktionen, die nicht in zwei oder drei Tagen ausgearbeitet werden könnten. So kommt wohl auch diese Idee für die Bewohner der Kaskelstraße 10 zu spät.

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