Herbst der Besetzungen angekündigt

Aktivisten vom Pfingstwochenende geben nicht auf / Wohnen müsse als Grundbedürfnis gelten

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 3 Min.

56 Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruchs haben die Besetzer vom Pfingstwochenende nicht nachhaltig verschreckt: Auf ihrer Website kündigten sie nun einen »Herbst der Besetzungen« an. Zwar auch aufgrund »eigener Betroffenheit und Notwendigkeit«, aber: »Wir besetzen auch, um Räume für alle zu öffnen«, heißt es in einer dazugehörigen Erklärung. »Anstatt Wohnen als Grundbedürfnis wie Wasser und Essen zu begreifen, wird Wohn- und Lebensraum zur Ware.« Das Problem sei nicht allein spekulativer Leerstand, sondern »der gesamte kapitalistische Immobilienmarkt«. »Miete macht die Armen ärmer und die Reichen reicher.«

Eine Gruppe von Aktivisten hatte am Pfingstsonntag, dem 20. Mai, mehrere Häuser in Berlin besetzt, darunter eines in der Bornsdorfer Straße in Neukölln, das dem städtischen Wohnungsbauunternehmen »Stadt und Land« gehört. Eine Abordnung der Aktivisten verhandelte mehrere Stunden lang mit dem Geschäftsführer der »Stadt und Land« Ingo Malter sowie mit dem Wohnen-Staatssekretär Sebastian Scheel, ob die Besetzer in dem Haus bleiben können und unter welchen Bedingungen. Malter wollte sich darauf nicht einlassen und stellte Strafanzeige gegen alle, die sich im Haus aufhielten. Noch am Abend wurde das Gebäude geräumt.

Daraufhin entspann sich eine stadtweite Debatte über das Besetzen von Häusern, über spekulativen Leerstand und darüber, ob Häuser notfalls enteignet werden sollten, wenn Eigentümer sie leer stehen lassen. Die Mehrheit der Befragten in Umfragen und viele Politiker vor allem der LINKEN und Grünen solidarisierten sich mit dem Anliegen. Einige verteidigten auch die Besetzungen an sich. Katrin Schmidberger, mietenpolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, die vor Ort zwischen Besetzern, Polizei und Geschäftsführer Malter vermittelte, erklärte Hausbesetzungen für legitim.

Im Zuge der Besetzungen wurde auch die sogenannte Berliner Linie neu diskutiert. Diese war Anfang der 1980er Jahre formuliert worden, als vor allem in Kreuzberg viele vom Abriss bedrohte Häuser besetzt worden waren. Seit Jahren wird sie so ausgelegt, dass alle besetzen Häuser innerhalb von 24 Stunden zu räumen sind. Tatsächlich hatte die sogenannte »Berliner Linie der Vernunft« zum Ziel, Neubesetzungen zu verhindern, bereits besetzte Häuser jedoch nicht zu räumen, es sei denn, der Hauseigentümer belege, dass Sanierungsmaßnahmen für das entsprechende Haus geplant seien.

Am Donnerstagabend diskutierte die Landesvorsitzende der LINKEN, Katina Schubert, die Berliner Linie mit Aktivisten der Gruppe besetzen. Dem »nd« sagte Schubert: »Geräumt werden sollte nur dann, wenn es einen konkreten Plan des Eigentümers gibt, was mit dem Haus passieren soll.« Ziel müsse sein, spekulativen Leerstand einzudämmen. Möglich sei beispielsweise, Besetzer nicht zu räumen und stattdessen als eine Art Treuhänder einzusetzen.

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