Gesünder durch Anerkennung

Beschäftigte vermissen häufig gutes Betriebsklima und Loyalität der Arbeitgeber

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 4 Min.

Relativ konstante Fehlzeiten waren offenbar einer der Gründe für das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO), sich im diesjährigen Fehlzeiten-Report auf das Thema »Sinnsuche am Arbeitsplatz« zu konzen-trieren. Vorgestellt wurde der Bericht am Dienstag in Berlin. Das WIdO befragte 2030 Menschen zwischen 16 und 65 Jahren zur Beziehung von sinnvoller Arbeit und Gesundheit. Zunächst bestätigten fast alle (98,4 Prozent), dass es für sie im Job am wichtigsten sei, sich wohl zu fühlen. Ähnlich hoch bewertet wurden die Zusammenarbeit mit Kollegen, ein gutes Betriebsklima und die Loyalität des Unternehmens gegenüber den Mitarbeitern - all diese Faktoren wurden von mindestens 95 Prozent der Befragten als bedeutsam eingeschätzt. Das gute Verhältnis zu Vorgesetzten folgte mit 92 Prozent.

Hinter diesen Wünschen bleibt die Realität jedoch zurück. Nur noch knapp 70 Prozent der Befragten fanden, dass sich die Arbeitgeber ihnen gegenüber loyal verhielten, ein positives Betriebsklima erlebten 78 Prozent der Beschäftigten. Diese Diskrepanz überrascht nicht. Interessant wird die Einschätzung der betrieblichen Situation im Zusammenhang mit den Krankentagen. Fühlten sich die Beschäftigten wohl am Arbeitsplatz, berichteten sie nur von knapp 10 Fehltagen im letzten Jahr. Unterschieden sich Wunsch und Wirklichkeit, kam es zu knapp 20 Fehltagen. Wird die eigene Arbeit als sinnvoll empfunden, werden Rücken- und Gelenkbeschwerden von 34 Prozent der Befragten angegeben, Erschöpfung von 33 Prozent. Ohne diese Sinngebung berichten 54 Prozent über solche Schmerzen und 56 Prozent über Erschöpfung.

Menschen ohne positive Beziehung zu ihrer Tätigkeit tendieren häufiger dazu, auch bei Krankheit am Arbeitsplatz zu erscheinen (etwa 25 Prozent der Befragten) als die eher Zufriedenen (18 Prozent). Aus diesen und weiteren Zahlen lässt sich schlussfolgern, dass Personen mit einem erfüllten Arbeitsleben weniger krank sind. Der AOK-Report fragt nun, was Unternehmen tun können, um zum Wohlbefinden ihrer Beschäftigten beizutragen.

Gerade angesichts eines Mangels an Fachkräften wäre die Schaffung guter Arbeitsbedingungen ein Beitrag dazu, Mitarbeitern Wertschätzung zu erweisen und sie im Unternehmen zu halten. Es gibt zumindest Hinweise darauf, welche Prioritäten hier angebracht wären. Der Sinn der eigenen Tätigkeit, die Sicherheit des Jobs sowie die dabei mögliche Selbstständigkeit stehen für die Studienteilnehmer ganz oben. Für etwa 90 Prozent von ihnen sind diese Werte sehr wichtig, ein hohes Einkommen finden demnach nur 60 Prozent wichtig. Für den letzten Befund spricht auch ein Gedankenspiel. In der Studie wurde gefragt, ob ein plötzlicher Geldsegen die Berufstätigkeit beeinflussen würde. Weiter arbeiten wollten in einem solchen Fall fast 76 Prozent der Befragten, fast 60 Prozent würden sich nicht einmal eine andere Arbeit suchen. Aus Unternehmenssicht betrachtet, könnte das dazu führen, die Mitarbeiterbindung »einfach« mit einer Art Gesundheitsmanagement zu stärken, das vielleicht kostengünstiger zu haben wäre als höhere Löhne.

Dieser Gedanke greift aber zu kurz, wie Erfahrungen aus der Praxis zeigen. Gesundheitsmanagement bedeutet etwa bei der Berliner Stadtreinigung (BSR), dass man sich um die Müllwerker kümmern muss, die 30 Jahre lang Tonnen gezogen haben und das in den Jahren vor der Rente nicht länger schaffen. Einige kann man umschulen, wie BSR-Prokuristin Anne Brinkmann in Berlin berichtete. Andere entwickelten selbst ein Projekt, in dem sie die Grünanlagen des Betriebes pflegen und dafür auch qualifiziert werden. Bei 5700 Mitarbeitern insgesamt hält die BSR 300 Stellen für diese älteren Kollegen frei. Gleichzeitig versuche man, etwa über technische Verbesserungen körperlich schwere Arbeiten wie das Laden in Kellerzugängen zu erleichtern. Ein wichtiger Faktor für die Zufriedenheit der Mitarbeiter ist ihre Einbeziehung in derartige Veränderungen. Das Beispiel zeigt, dass auch ein unbestritten hohes Ansehen eines Berufes - die Müllmänner stehen in der WIdO-Befragung immerhin auf Platz sechs der Berufe-skala - nicht zwangsläufig damit gleichzusetzen ist, dass die Anerkennung bei den Betroffenen ankommt.

Indessen blieben die Fehlzeiten laut dem Report, bezogen auf die AOK-Versicherten, 2017 mittlerweile schon im dritten Jahr etwa konstant. Der Anteil der Tage mit einer Arbeitsunfähigkeit am Kalenderjahr lag bei 5,3 Prozent. Die größten Abweichungen vom Durchschnitt wiesen mit 6,1 Prozent Sachsen-Anhalt sowie mit jeweils sechs Prozent das Saarland, Brandenburg und Thüringen am oberen Ende der Skala auf. Die geringsten Fehlzeiten gab es in den Bundesländern Bayern mit 4,7 und Hamburg mit 4,5 Prozent.

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