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Infrastruktur zerstört

Ein Großaufgebot der Polizei sichert die Teilräumung im Hambacher Forst

  • Sebastian Weiermann
  • Lesedauer: 4 Min.

»Der Traum ist aus« schallt es durch das Baumhausdorf »Oaktown« als Polizei und Beschäftigte von RWE am frühen Mittwochmorgen anrücken. Laut singen einige Aktivisten den Klassiker der Punkband »Ton, Steine, Scherben« mit. Die Besetzer haben sich in ihren Baumhäusern verschanzt. Doch die Polizei will die Häuser an diesem Tag noch nicht räumen. Erstmal sind die »Bodenstrukturen« dran: Zelte, Sitzgruppen oder Kochgelegenheiten, die von den Besetzern unter den Dörfern in luftiger Höhe errichtet wurden.

An gewöhnlichen Tagen ist der Hambacher Forst ein durchaus geselliger Ort. Menschen spazieren die Waldwege entlang. Die einen bauen an Barrikaden, andere an Baumhäusern. Wieder andere sitzen einfach irgendwo, lesen ein Buch oder reden miteinander. Das ist am ersten Tag der Räumung anders. Schon gegen sieben Uhr morgens ist klar, dass die Polizei mit einem massiven Aufgebot in den Wald will. Deshalb wirkt der Forst wie ausgestorben. »Was sollen wir gegen 1000 Polizisten machen?«, fragt ein Aktivist. Steine fliegen heute nicht.

In der Tat ist das Polizeiaufgebot erdrückend, das in der Frühe Oaktown betritt. Schnell werden alle Zugänge zum Hüttendorf von Beamten mit Schutzschildern, Helmen und Knüppeln besetzt. Ihnen folgen Beschäftigte von RWE, die dafür da sind, die Infrastruktur am Boden zu zerstören. Die Mitarbeiter des Energiekonzerns machen dabei kurzen Prozess. Die meisten Gegenstände werden zu Müll erklärt und wandern sofort in die Mulden von Radladern.

Staat und Energiekonzern wollen an diesem Tag im Wald ihre Macht demonstrieren. Wann und wie geräumt wird, bestimmen sie. Die Schreckensszenarien über »extrem gewaltbereite Linksextreme aus dem gesamten Bundesgebiet«, die nicht »Bäume retten, sondern den Staat abschaffen wollen«, die zuvor vom nordrhein-westfälischen Innenminister Herbert Reul (CDU) gezeichnet wurden, erweisen sich als völlig aus der Luft gegriffen. Militant agiert an diesem Morgen fast niemand. Auch die Polizei hat nicht mehr zu berichten als den Bewurf mit Pyrotechnik sowie Urin und Fäkalien. Molotow-Cocktails und Stahlkugeln nutzen die Waldbesetzer offenbar nicht.

Auch RWE und Polizei merken irgendwann, dass sie an diesem Tag nicht mit heftigem Widerstand rechnen müssen. In immer mehr Baumhausdörfer werden die RWE-Beschäftigten geschickt, teilweise nur von einer Handvoll Polizisten begleitet. Die Bilder in den einzelnen Hüttendörfern gleichen sich. Was auf dem Boden liegt kommt weg. Bis zum Nachmittag haben Polizei und RWE fast alle Dörfer im Wald begangen. Von der Infrastruktur ist nicht mehr viel übrig.

Vom Polizeieinsatz sind auch die Künstler Saxana und Helge Hommes betroffen. Zehn Tage lang haben sie das Leben im Wald auf Bildern porträtiert. Erst am Dienstag ist ihr Abschlussgemälde fertig geworden. Ein drei mal vier Meter großes Ölgemälde. Eigentlich wollten sie heute zur Vernissage laden. Doch die Künstler werden nicht in den Wald gelassen. Nach zähen Verhandlungen mit der Polizei dürfen sie doch in den Forst, aber Gäste sollen sie nicht empfangen. Eine Vernissage ohne Publikum.

Ob der Mittwoch der von Aktivisten ausgerufene »Tag X« ist, darüber ist man sich im Forst noch uneinig. Bäume wurden nicht gefällt, höchstens Sträucher am Wegesrand beseitigt. Aber die Räumung des Hambacher Forst hat begonnen. Die Waldbesetzer blicken nun mit Spannung darauf, wie es weitergeht. Kommt die Polizei in den nächsten Tagen wieder und fängt an die Baumhäuser zu räumen? Werden nun dauerhaft, bis zum Beginn der Rodungssaison im Oktober Polizeieinheiten im Wald stationiert? Wird der Zugang zum Wald beschränkt?

Polizei und RWE haben ein Interesse daran, dass die abgebaute Infrastruktur nicht wieder entsteht. Dazu, wann das erste Baumhaus geräumt wird, machen sie aber keine Angaben. Die Auseinandersetzungen um den Hambacher Forst könnten sich noch über Wochen hinziehen. Von Szenarien militanter Auseinandersetzungen, einem zweiten Wackersdorf oder Gorleben, wie sie auch die Gewerkschaft der Polizei gezeichnet hatte, ist die Situation im Wald weit entfernt.

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