Einmal Großstadt und zurück

Sachsen: Hoyerswerda feiert 750 Jahre Stadtgeschichte - die zuletzt viel Umbruch brachte

  • Hendrik Lasch, Hoyerswerda
  • Lesedauer: 5 Min.

Das Y-Hochhaus ist weg. Im Frühjahr 2011 fiel der Elfgeschosser mit dem Grundriss in Form des Buchstaben Y. Der Bau hatte einige Symbolkraft für Hoyerswerda: Mit dem benachbarten Krankenhaus, das aus der Luft wirkte wie ein H, formte er das Namenskürzel der Stadt in der Lausitz. 1976 war er errichtet worden - in einer Zeit, als die Stadt noch scheinbar ungebremst wuchs. 35 Jahre später war sie mächtig im Schrumpfen begriffen - so sehr, das auch ein Teil des Kürzels geopfert werden musste.

In diesen Tagen feiert Hoyerswerda Jubiläum: 750 Jahre sind vergangen, seit der Ort in einer Urkunde von Markgraf Otto von Brandenburg über die Teilung der Oberlausitz vom Mai 1268 erstmals erwähnt wurde. Lange Zeit verlief die Geschichte der Stadt danach nicht aufregender als die vieler vergleichbarer Orte im Land.

Im jüngsten Fünfzehntel dieses Dreivierteljahrtausends aber hat Hoyerswerda ein beispielloses Auf und Ab erlebt: einen Boom, in dessen Verlauf sich die Einwohnerzahl von 7000 auf 77.000 erhöhte - und einen fast noch rasanteren Abschwung, der zur Folge hatte, dass sie mehr als die Hälfte ihrer Bewohner wieder verlor. Die jüngere Geschichte Hoyerswerdas, das ab 1955 zur Wohnstadt für die Beschäftigten des benachbarten Gaskombinats »Schwarze Pumpe« ausgebaut wurde, lässt sich auf die Formel bringen: einmal Großstadt und zurück.

Ralph Büchner kam nach Hoyerswerda, als die Stadt auf dem Höhepunkt angekommen war: 1988. Am Wohnkomplex X wurde noch gebaut; weiter neun standen bereits. Es war »eine Kastenstadt«, sagt Büchner, der in der Altstadt von Halle aufgewachsen war: eine Stadt aus Neubaublöcken, die allerdings »schon damals sehr grün war« und über Kaufhallen, Schulen und Gaststätten verfügte.

Auch ein Kulturzentrum gab es: die Lausitzhalle, die ihren Bau der Schlitzohrigkeit des Generaldirektors der »Schwarzen Pumpe« verdankte. Herbert Richter schmuggelte auf dem VIII. Parteitag der SED 1971 einen Satz ins Programm, wonach die DDR eine Tagungsstätte für die »Europäische Gasunion« benötige. Neun Jahre später war die Halle fertig: eine »Schwarzinvestition«, sagt Büchner, die den Bewohnern von Hoyerswerda große Kultur ermöglichte. Der Saal fasst 800 Besucher.

Die damals hier zu Konzerten kamen, waren Bergleute und Beschäftigte des Gaskombinats. »Menschen, die stolz auf ihre Arbeit waren«, sagt Büchner, der selbst im Braunkohlenwerk Welzow arbeitete. Zudem gehörten viele der gleichen Generation an - Menschen, die oft zu Anfang ihres Arbeitslebens aus allen Teilen der Republik zuzogen. »Deshalb gibt es auch keinen Dialekt«, sagt Büchner.

Heute sieht man in der Lausitzhalle und in benachbarten Läden fast nur 70- bis 80-Jährige - die einstigen Gründer. Die folgende Generation ihrer Kinder ist zu großen Teilen weggezogen, nachdem mit dem Ende der DDR Zehntausende Arbeitsplätze im Kohle- und Energiesektor in der Region weggefallen waren. »Eine starke Verwurzelung gab es ja nicht«, sagt Büchner. Wer blieb, stand vor einem Arbeitsleben voller Brüche. Büchner, der 1993 mit gut 30 die Arbeit im Tagebau verlor, arbeitete seither im Forst, bei der Post und in ABM, bevor er Mitarbeiter einer Landtagsabgeordneten wurde.

Mit den Folgen des industriellen Abbruchs ringt Hoyerswerda bis heute, sagt Büchner, der seit mehr als 20 Jahren den Stadtratsfraktionen von PDS beziehungsweise LINKE angehört. Die Hoffnung auf große Industrieansiedlungen, die für neue Jobs hätten sorgen können, erfüllten sich nicht. Ob die Gründe in einer unzureichenden Verkehrsanbindung liegen, im Mangel an großen Gewerbeflächen oder im Umstand, dass die Stadt aus Sicht der Landesregierung in Dresden »falsch gewählt hatte«, wie Büchner sagt - darüber lässt sich streiten. In Hoyerswerda stellte die PDS ab 1996 mit dem voriges Jahr verstorbenen Horst-Dieter Brähmig den ersten Oberbürgermeister. Auch der seltene Gewinn eines Direktmandats für den Landtag gelang ihr hier.

Doch selbst wenn es zu einer Großansiedlung gekommen wäre: Dass es in der von einer industriellen Monokultur geprägten Stadt neue Jobs für mehrere tausend einstige Kumpel und Energiearbeiter geben würde, »das war eine Illusion«, sagt Büchner. Bis sich die Kommunalpolitik zu der Erkenntnis durchrang und auch über die Folgen etwa für Wohnungsbestand, Infrastruktur, soziale Einrichtungen oder die Kultur nachdachte, verging einige Zeit. »Man hat den Umbruch lange vor sich hergeschoben«, sagt der Kommunalpolitiker.

Heute ist er in vollem Gange. Viele Wohnungen sind verschwunden, weitere folgen. Bis April kommenden Jahres muss auch Büchner seine Wohnung in der sogenannten »Stadtmauer« verlassen, einem langen Elfgeschosser in der Neustadt, in der bereits jetzt viel Gras wächst an Plätzen, wo vor nicht einmal einem halben Jahrhundert Neubaublöcke in die Höhe wuchsen.

In diesen Tagen wird in der Stadt gefeiert: Der Stadtrat traf sich am Mittwoch als Höhepunkt eines ganzen Jubeljahres zur Festsitzung, am Wochenende gibt es ein Stadtfest. Danach aber wartet wieder das trockene Brot des kommunalpolitischen Alltags. Prognosen zufolge wird Hoyerswerda bis 2030 noch einmal um 10 000 Einwohner schrumpfen.

Man müsse sich schon jetzt überlegen, wie auch unter diesen Bedingungen Einrichtungen wie die Lausitzhalle, der Zoo, das Schloss oder das Lausitzbad zu halten sind, sagt Büchner. Er ist gleichwohl überzeugt, dass die Stadt eine Zukunft hat - dank vielfältiger medizinischer Einrichtungen, vieler Kitas und Schulen, die auch Kinder aus dem Umland besuchen, oder eines reichhaltigen Kulturangebotes. Hoyerswerda mag ein halbes Jahrhundert lang fast Großstadt gewesen sein. Aber als Kreisstadt und Zentrum für die Region, sagt Büchner, »hatte es ja zuvor auch schon 130 Jahre funktioniert«.

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