Überleben auf zwei Beinen

Eckpunkte zum Fußverkehrsgesetz erarbeitet - gerade Kinder würden profitieren

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Fußverkehrskapitel des Mobilitätsgesetzes nimmt langsam Konturen an. »Diesen Mittwoch wird das im kleinen Kreis erstellte Eckpunktepapier dazu dem Mobilitätsbeirat vorgestellt«, berichtet Stefan Lieb, Bundesgeschäftsführer des Fachverbandes Fußverkehr (FUSS).

Vorgesehen sind demnach unter anderem Vorrangbereiche für Fußgänger. »Es geht dabei darum, die Bedingungen für Gegenden mit immensem Fußverkehr zu verbessern«, sagt Lieb. So wie rund um den Hackeschen Markt oder am Checkpoint Charlie. »Das zentrale Problem ist der Autoverkehr«, erklärt der Fußgängerlobbyist. Aber auch Radler sollen von den Bürgersteigen runter, wofür es wiederum sichere und breite Radspuren auf den Straßen braucht.

Mehr Priorität sollen Querungsmöglichkeiten von Straßen für zu Fuß Gehende erhalten. An »sinnvollen Orten« sollen neue geschaffen werden, so Lieb. Außerdem sei auch die Vorgabe enthalten, dass Ampeln an Hauptstraßen so geschaltet werden sollen, dass sie in einem Zug gequert werden können. Derzeit müssen nicht nur langsam laufende Menschen an Magistralen meist Zwangspausen auf dem Mittelstreifen einlegen. Geregelt werden soll auch die Bereitstellung von ausreichend Sitzgelegenheiten im Straßenland. »Das sind quasi die Parkplätze für Fußgänger«, erklärt Lieb.

Mit diesem Zwischenergebnis des Verfahrens ist er durchaus zufrieden, nur eine Sache stößt ihm sauer auf: »Die Verwaltung will sich mit vier Jahren einen sehr langen Zeitraum für die Erarbeitung des Fußverkehrsplans einräumen, doppelt so lange wie für den Radverkehrsplan.« Zumal der Plan erst in der nächsten Legislaturperiode vorläge. »Und wer weiß, wer dann im Senat das Sagen hat«, so der Lobbyist.

Fertiggestellt sein soll das Fußverkehrsgesetz bis kommende Ostern, kündigte die Senatsverkehrsverwaltung zumindest im März an. Ob das gelingt, ist fraglich, denn das nun diskutierte Eckpunktepapier hätte bereits im Sommer vorliegen sollen.

»Sichere Schulwege müssen auf jeden Fall in das Fußverkehrsgesetz«, fordert Birgit Adolph. Sie hat die Initiative »Schulwegsicherheit Grundschule An den Buchen« mitbegründet. Mittwoch um halb acht Uhr in der Frühe ist sie vor Ort in Niederschönhausen. Es ist Rushhour. Autos brausen durch die sonst beschauliche Wilhelm-Wolff-Straße, viele Kinder, manche in Begleitung ihrer Eltern drängen sich auf dem schmalen Bürgersteig Richtung Schultor. Die meisten zu Fuß oder auf dem Fahrrad.

»Wir haben eine Gehwegvorstreckung am Schuleingang beantragt, diese ist vom Bezirk Pankow abgelehnt worden«, berichtet Adolph. »Und zwar mit dem Hinweis, dass wir erst mal unser hausgemachtes Problem mit den Elterntaxis lösen sollten«, sagt sie. Gemeint sind damit jene Eltern, die ihre Sprösslinge mit dem Auto zur Schule kutschieren. Immerhin 460 Kinder besuchen derzeit die Bildungseinrichtung.

An diesem Morgen sind es allerdings nur sehr wenige Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto abliefern. Direkt am Eingang sind es nur drei, weitere halten an der Ecke Friedrich-Engels-Straße, wo auch die Straßenbahn fährt. Trotzdem gelang es im Rahmen des bundesweiten Projekts »Zu Fuß zur Schule und zur Kita«, dass weniger als 20 Prozent der Schüler mit dem Auto gebracht werden. Dafür gibt es zur Belohnung eine sogenannte Bewegungsbox mit Bällen und anderen Sportgeräten.

Allein in Berlin, wo der Umweltverband BUND und der Verkehrsclub VCD für die Organisation zuständig sind, beteiligen sich dieses Jahr rund 700 Schulklassen und 75 Kitagruppen mit rund 17 000 Kindern. »Alle Wege für Kinder müssen sicher sein«, sagt BUND-Projektleiterin Gabi Jung. »Denn die meisten Unfälle mit Kindern passieren nachmittags.« Das ständige Kutschieren des Nachwuchses im Auto führe nicht nur dazu, dass die Kinder sich weniger bewegten, sondern dass sie auch unsicherer seien, wenn sie alleine unterwegs sind. »Deswegen werben wir dafür, dass sie bereits in die Kita zu Fuß kommen«, sagt Jung.

»Das Wohnumfeld muss aber auch so gestaltet sein, dass es Kindern möglich ist, zu Fuß zu kommen«, fordert Claudia Neumann, Expertin für Spiel und Bewegung des Deutschen Kinderhilfswerkes. »Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bei der Stadtplanung muss gesetzlich festgeschrieben werden«, so Neumann. Zusammen mit Senioren seien sie schließlich die stärksten Nutzer des öffentlichen Raums. In einigen Bezirken, unter anderem Pankow und Mitte, gibt es so eine Beteiligung bereits in begrenztem Rahmen. Im Baugesetzbuch oder bei der Verkehrsplanung sei dies jedoch bisher leider nicht verankert. »Von einer kinderfreundlichen Stadtgestaltung profitieren alle«, ist Neumann überzeugt.

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