Finanzamt in sensibler Lage

Energiesparender Erweiterungsbau an der ehemaligen Inspektion der Konzentrationslager

Die Büros sehen aus, wie Büros nun einmal aussehen: Schränke und Schreibtische, sachlich und schlicht. Mit kleinen persönlichen Gegenständen haben sich die Beamten ihren Arbeitsplatz etwas gemütlicher gemacht, mit Familienfotos und Kinderzeichnungen beispielsweise. Das alles ist nichts Besonderes. Außergewöhnlich ist aber das Gebäude. Der moderne Erweiterungsbau des Finanzamtes am Heinrich-Grüber-Platz in Oranienburg erfüllt, was den Energieverbrauch betrifft, die Standards eines Passivhauses. Die Außenhülle ist gut gedämmt, die Fenster sind dreifach verglast und die Belüftung wird automatisch geregelt. Geheizt wird im Winter mit Erdwärme, die über 16 Sonden in bis zu 99 Meter Tiefe angezapft wird. Im Sommer wird das geothermische Prinzip umgekehrt und als Klimaanlage eingesetzt. 260 Quadratmeter Solarzellen auf dem Dach versorgen das Haus mit Strom. Für den Fall, dass die Sonne nicht ausreichend scheint, steht ein Gasbrenner im Keller. Es ist das erste Gebäude, das vom Brandenburger Landesbetrieb Bauen (BLB) nach den Vorgaben der hiesigen Nachhaltigkeitsstrategie vom Juni 2014 errichtet wurde.

Die niedrigen Energiekosten und die hervorragende CO2-Bilanz »sind ein Beitrag zur Konsolidierung des Landeshaushalts und zur Dämpfung des Klimawandels«, lobt Finanzminister Christian Görke (LINKE). Es wurden extra viele verschiedene Varianten untersucht, damit ein behagliches Umfeld mit viel Tageslicht entsteht, bei dem die Mitarbeiter aber dennoch nicht von der Sonne geblendet werden. Kaum sichtbar sind die elektrisch steuerbaren Sonnenschutzlamellen, sie sind in den dreifach verglasten Fenstern zwischen der äußeren und der mittleren Scheibe platziert.

Am Freitag übergab Finanzminister Görke symbolisch einen Schlüssel an Finanzamtschef Michael Fehlauer. »Für meine Kolleginnen und Kollegen wird die Kommunikation wesentlich verbessert, die Arbeitsabläufe werden einfacher und schneller«, freute sich Fehlauer. Denn das vorher auf vier verschiedene Objekte im Stadtgebiet verstreute Finanzamt ist nun an einem Standort konzentriert.

BLB-Geschäftsführer Norbert John sprach von einer Herausforderung, die dieses Pilotprojekt gewesen sei. »Die gewonnenen Erfahrungen werden wir in die Errichtung weiterer nachhaltiger Gebäude einfließen lassen«, kündigte er an.

Mit Starkregen hatten die Arbeiter zu Beginn zu kämpfen, Firmeninsolvenzen haben die Situation auf der Baustelle zusätzlich erschwert. Die vielleicht größte Herausforderung bestand jedoch darin, sensibel mit der Geschichte des Ortes umzugehen. Darum wurde der moderne Neubau nicht einfach an das historische T-Gebäude am Heinrich-Grüber-Platz 3 angeklatscht, sondern ein paar Schritte abseits platziert und mit einem unterirdischen Gang angebunden.

Vom T-Gebäude aus hatte die SS in den Jahren 1938 bis 1945 den Terror in 32 Konzentrationslagern und mehr als 1000 Außenlagern gelenkt. Eine Ausstellung über die Täter und ihre Verbrechen ist im alten Dienstzimmer von SS-Obergruppenführer Theodor Eicke untergebracht. Eicke leitete die Inspektion der Konzentrationslager bis 1939. Sein Nachfolger war SS-Gruppenführer Richard Glücks. Auf dem Gang gleich neben diesem Zimmer sitzt heute die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Zu ihr gehört auch die benachbarte KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen. Hier im T-Gebäude trafen sich zu Besprechungen einst die immer extra angereisten KZ-Kommandanten aus dem Herrschaftsbereich der Hitlerdiktatur. Sie beratschlagten beispielsweise über Methoden für den Massenmord an sowjetischen Kriegsgefangenen und besichtigten dazu im KZ Sachsenhausen die Genickschussanlage. Das T-Gebäudes ist heute größtenteils vom Finanzamt belegt.

Der Balkon am ehemaligen Dienstzimmer von Theodor Eicke und Richard Glücks hängt über dem Eingang des historischen Hauses. Vom Balkon aus ist der Erweiterungsbau des Finanzamtes zu sehen. Mitarbeiter können dieses neue Gebäude über einen unterirdischen Gang erreichen. Das Kellergeschoss des Neubaus beherbergt ein Archiv mit einer Rollregalanlage. Treppen, Installationen sowie Größe und Lage von Funktionseinheiten sind so gestaltet, dass kleinere und größere Umbauten künftig leicht und ohne großen zeitlichen und finanziellen Aufwand möglich sind.

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