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  • Kneipensterben in Berlin

»Syndikat« will Aus nicht hinnehmen

Kneipenkollektiv in Neukölln soll nach 33 Jahren dichtmachen - auch weitere linke Läden von Verdrängung bedroht

  • Maria Jordan
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Freitagabend ist die Kneipe schon vor den normalen Öffnungszeiten gerammelt voll. Die Stimmung ist gedrückt, besorgte Gesichter blicken umher. Die linke Kneipe »Syndikat« hat zu einem öffentlichen Plenum geladen. Denn wie es aussieht, wird es das »Syndi«, das seit inzwischen 33 Jahren in der Neuköllner Weisestraße Teil der linken Kiezstruktur ist, ab dem 1. Januar 2019 nicht mehr geben. Der Eigentümer hat den Betreiber*innen zum 31. Dezember den Mietvertrag gekündigt. Auf Gesprächsangebote seitens des Kollektivs gab es bisher keine Rückmeldung. Die Kündigung ist fristgerecht und völlig legal. Damit sieht es für das »Syndikat« düster aus.

Das Kündigungsschreiben über die Hausverwaltung DIM landete schon im Juli in der Weisestraße 56. Da allerdings noch mit dem Angebot, über neue Konditionen zu verhandeln. Dass der Eigentümer, mutmaßlich eine Briefkastenfirma in Luxemburg, nun eine Absage gegenüber jeglichen Verhandlungen erteilt hat, war für die Betreiber*innen ein Schock. »Damit haben wir überhaupt nicht gerechnet«, sagt »Syndi«-Mitarbeiter Christian gegenüber »nd«. Auch beim Plenum ist den Mitarbeiter*innen der Schreck noch deutlich anzumerken. »Was Verhandlungen angeht, scheint der Drops gelutscht zu sein«, sagt ein Mitglied des Kollektivs. Der Anwalt prüfe die Lage noch, auf juristischem Wege sei jedoch wahrscheinlich nichts zu machen. »Jetzt können wir nur noch versuchen, den Laden durch öffentlichen Druck zu retten.«

Das bevorstehende Aus der Kneipe hat auch schon einige Bezirkspolitiker*innen auf den Plan gerufen. Der Handlungsspielraum des Bezirksamts sei jedoch sehr begrenzt, teilte Bezirksstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) auf eine mündliche Anfrage seines Parteikollegen Christian Hoffmann mit. Man könne jedoch versuchen, den Eigentümer zu Verhandlungen zu überreden. Der Bezirksstadtrat ist sogar zum Plenum gekommen. Dort erklärt er, dass ihm juristisch zwar die Hände gebunden seien. »Ich bin ansonsten aber zu jeder Schandtat bereit.«

Unterstützer*innen hat das »Syndikat« im Kiez viele - die Anwesenden planen trotz der eben verkündeten Hiobsbotschaften sofort erste Aktionen. Die Ideen sprudeln: Soli-Shirts, Demos, Genossenschaft, Kaufoptionen sind die Stichworte. Innerhalb kurzer Zeit bilden sich schon Arbeitsgruppen für Öffentlichkeitsarbeit, die »Knastkasse« und Vernetzung. »Wir brauchen den Kiez auf unserer Seite - das geht auch mit Oma und Opa«, sagt eine Teilnehmerin.

Das Syndikat ist nicht das erste Verdrängungsopfer. Im Neuköllner Schillerkiez sind bereits unzählige Urberliner Lokale verschwunden, die Punkerkneipe »Allereck« musste vor wenigen Wochen schließen, und auch der Mietvertrag der »Langen Nacht« soll nur noch bis 2020 gelten. Auch in anderen Bezirken sterben linke Treffpunkte langsam aus. Für die Kreuzberger »Meuterei« tickt die Uhr schon lange, auch Berlins älteste selbstverwaltete Jugendzentren »Drugstore« und »Potse« in Schöneberg bangen um ihre Existenz, schlagen sich mit neuen, profitorientierten Nachbarn herum. Die Zukunft von »Tristeza« und »K-Fetisch« in Neukölln ist ungewiss, den Kiezladen »Friedel54« gibt es schon nicht mehr.

Die Verdrängung trifft dabei alle - individuell und infrastrukturell. »Das größte Problem für mich ist, dass ich dann arbeitslos bin«, sagt Christian. »Für den Kiez wird es schwieriger, Austausch und Zusammenhalt aufrecht zu erhalten, wenn wir weg sind.«

Deshalb soll das »Syndikat« bleiben: »Es sind schon zu viele gegangen, still und leise. Wir wehren uns und machen Rabatz!« Für Donnerstag hat das Kollektiv zu einer Kiezversammlung eingeladen. Dort sollen alle Kräfte mobilisiert und Pläne für die nächsten Wochen entworfen werden. Viel Zeit bleibt nicht - Hoffnung schon: »Lasst uns der Briefkastenfirma zeigen, was widerständige Berliner Kneipenkultur so kann!«

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