Täter und Opfer leben Tür an Tür

Der Genozid an den Tutsi wird sich noch über Generationen auswirken

  • Josephine Schulze
  • Lesedauer: 3 Min.

Über 24 Jahre liegt der Völkermord der Hutu an den Tutsi zurück. Etwa eine Million Menschen kamen 1994 innerhalb von 100 Tagen ums Leben. Der heutige Präsident Paul Kagame eroberte mit seiner Tutsi-Miliz RPF (Ruandische Patriotische Front) das Land und beendete damit den Bürgerkrieg. Obwohl auch der RPF brutale Racheakte vorgeworfen werden, gilt Kagame in Ruanda als Held, der das Land befriedet und stabilisiert hat. Umso größer ist die Sorge, was nach ihm kommen wird. Viele haben Angst, dass dann Konflikte, die bisher unter der Oberfläche schwelen, wieder ausbrechen könnten.

Überall in Ruanda erinnern Gedenkstätten an die grausamen Massaker. Heute, so die offizielle Linie, gibt es keine Hutu und Tutsi mehr. Jeder ist Ruander, die Frage nach der Ethnie ein Tabu. Kinder sollen ohne diese Einteilung in den Köpfen aufwachsen.

Doch die Verbrecher und die Opfer gibt es noch. In Dörfern auf dem Land leben viele von ihnen Tür an Tür. Das ist von der Regierung so gewollt. »Wie soll es auch anders gehen? Es gibt keinen anderen Ort, wo die Täter hingehen könnten. Sie müssen sich ihrer Vergangenheit stellen und bei den Gemeinden um Verzeihung bitten«, findet ein junger Uniabsolvent. Diese Art der Versöhnung wird sogar als touristisches Happening angeboten. Besucher können Touren in Versöhnungsdörfer buchen. Dort essen sie gemeinsam mit Tätern und Opfern, hören ihre Geschichten und bekommen eine Tanzshow geboten.

Wie ehrlich und nachhaltig die Versöhnung ist, lässt sich für Außenstehende schwer beurteilen. »Der Weg ist noch lang«, meint Joseph Nkurunziza. Er hat die Organisation »Never Again Rwanda« mitgegründet, die seit Jahren mit Tätern und Opfern arbeitet. Er erzählt, wie komplex die Nachwirkungen des Genozids sind. »Viele heutige Lehrer haben den Völkermord selbst erlebt auf Täter- oder Opferseite. Wie sollen sie das ihren Schülern als Unterrichtsstoff vermitteln?« Außerdem gebe es eine hohe Zahl von Menschen, die durch Vergewaltigungen gezeugt wurden. Sie hätten enorme psychische Probleme. So etwas wirke sich noch über Generationen aus, meint Nkurunziza. Ihre Organisation begleitet Dialogverfahren in Dörfern im ganzen Land. »Da braucht es einen geschützten Raum, in dem jeder offen sagen kann, was er denkt und fühlt.« Die Regierung habe ihre klaren Linien, aber so etwas könne man nicht von oben vorgeben. Die Menschen müssten selbst entscheiden, wie sie diese Prozesse gestalten wollen.

»Never Again Rwanda« hat es sich auch zur Aufgabe gemacht, kritisches Denken unter jungen Menschen zu fördern: »Während des Genozids wurden die Hutu indoktriniert. Deshalb versuchen wir, die Jugendlichen stark gegen Manipulation zu machen.« Kritik am Präsidenten meint er damit nicht. Denn das könne Spannungen und Konflikte auslösen. Nkurunziza glaubt: »Wir brauchen eine starke Regierung. Aber wir brauchen vor allem einen starken Rechtsstaat und stabile Institutionen. Das ist der beste Schutz für die Zukunft.«

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