Bundesrat: Vorerst kein Sonderregister für trans Personen

Der Bundesrat stimmte am Freitag doch nicht über die von Innenminister Dobrindt geplante Verordnung ab

Ein guter Tag für queere Menschen, auch wenn am Freitag keine Regenbogenflagge vor dem Bundesrat wehte.
Ein guter Tag für queere Menschen, auch wenn am Freitag keine Regenbogenflagge vor dem Bundesrat wehte.

Eine geplante Verordnung des Bundesinnenministeriums (BMI) zur Umsetzung des Selbstbestimmungsgesetzes im Meldewesen kam am Freitag nicht zur Abstimmung im Bundesrat. Offenbar gab es seitens der Länder Zweifel an einer Mehrheit für das Vorhaben. Inhaltliche Bedenken an der Verordnung äußerte etwa eine Sprecherin des nordrhein-westfälischen Familienministeriums gegenüber »nd«. »Dass die Verordnung von der Tagesordnung des Bundesrats genommen wurde, begrüßen wir daher sehr.« Aus dem Innenministerium heißt es auf Anfrage von »nd«: »Das BMI schließt daraus, dass seitens der Länder zu den Inhalten der Verordnung noch Gesprächsbedarf besteht.«

Maik Brückner, queerpolitischer Sprecher der Linken im Bundestag, nennt es eine »kleine Sensation«, dass der »Vorstoß des Bundesinnenministers, trans Personen in erster Linie als Sicherheitsrisiko zu sehen, statt ihre Grundrechte zu schützen«, keine Mehrheit fand.

Die Verordnung sieht vor, neue Datenblätter im Melderegister anzulegen: für einen früheren Geschlechtseintrag und Vornamen, das Datum der Änderung und die dafür zuständige Behörde. Ein Teil dieser Informationen soll automatisch an mehrere Behörden weitergeleitet werden und jederzeit abrufbar sein. So sollen etwa Meldebehörden bei jedem Umzug über den abgelegten Vornamen informiert werden.

Ziel dieser »Verordnung zur Umsetzung des Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag im Meldewesen« ist es dem BMI zufolge, Personen auch nach der Änderung des Geschlechtseintrags und Vornamens identifizieren zu können. Außerdem sollen Behörden dadurch Verstöße gegen das Offenbarungsverbot erkennen.

Neben einer vereinfachten Änderung des Geschlechtseintrags und Vornamens ist dieses Offenbarungsverbot eine wichtige Säule des im vergangenen Jahr in Kraft getretenen Selbstbestimmungsgesetzes und soll den Schutz vor unfreiwilligen Outings garantieren.

Allerdings kritisieren queere Verbände, Initiativen und Datenaktivist*innen, dass die Verordnung durch das dauerhafte Speichern und die automatisierte Weiterleitung von sensiblen Informationen genau dieses Offenbarungsverbot unterlaufe und einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstelle, also das Recht, über den Umgang mit den eigenen Daten selbst bestimmen zu dürfen. Die Verordnung ermögliche zudem das Anfertigen von Listen mit trans, inter und nicht-binären Personen, was nicht nur deren Privatsphäre, sondern auch ihre Sicherheit gefährde.

Zwar reagierte das Innenministerium auf diese Kritik, indem es einen Zusatz anfügte, der ein ebensolches Erstellen von Listen ausdrücklich untersagte, doch im Gespräch mit Netzpolitik bemerkte die queerpolitische Aktivistin und Journalistin Julia Monro: »Nach Gesprächen mit IT-Expert*innen glaube ich dennoch, dass man so eine Liste leicht erstellen kann.«

»Es ist überfällig, dass die Bundesregierung umsteuert.«

Maik Brückner queerpolitischer Sprecher der Linken im Bundestag

Organisationen wie der Bundesverband Trans* (BVT) und der Verband queere Vielfalt (LSVD) treten dafür ein, dass nach Änderungen des Geschlechtseintrags das Prozedere beibehalten wird, das bereits vor Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes galt und auch seitdem weiter angewandt wird.

Dieses Verfahren gleicht dem Vorgehen bei einer Adoption: Im Melderegister wird ein neuer Datensatz angelegt, der keinen Hinweis auf den alten Namen enthält; der abgelöste Datensatz bleibt erhalten und wird mit einer Auskunftssperre belegt, die nur in bestimmten sicherheitsrelevanten Fällen aufgehoben werden darf – eine Identifizierung bleibe also möglich, die Privatsphäre der Betroffenen werde gewahrt.

Die Pressestelle des Familienministeriums in NRW verweist auf Studien, die zeigen, dass trans, inter und nicht-binäre Personen in allen Bereichen besonders von Ungleichbehandlung sowie Diskriminierung und Gewalterfahrungen betroffen sind. Im Hinblick auf die Vorlage aus dem Bundesinnenministerium bestünden Bedenken etwa mit Blick auf den Diskriminierungsschutz der Betroffenen. Deshalb habe NRW einen Antrag zur Ablehnung der Verordnung in den Bundesratsausschüssen eingebracht. Während der federführende Rechtsausschuss dennoch empfahl, der Verordnung zuzustimmen, sprach sich der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend dagegen aus.

Denn zur Erreichung der Ziele sei die Verordnung nicht erforderlich. »Vielmehr missachtet sie den besonderen Schutzbedarf der betroffenen Personengruppe und setzt sie einem erhöhten Diskriminierungsrisiko aus«, heißt es in der Begründung. Da etwa der abgelegte Name und Geschlechtseintrag bei jedem Umzug erneut übermittelt werden soll, »zementiert (die Regelung) faktisch ein ›altes Ich‹, das dauerhaft mitgeführt werden muss«. Dies stehe im Gegensatz zur Absicht des Selbstbestimmungsgesetzes, dass allein der neue Geschlechtseintrag Geltung entfalten soll. »Die Anerkennung der neuen Geschlechtsidentität wird dadurch dauerhaft erschwert«, schreibt der Ausschuss.

Auch ein am Vortag abgesetztes Schreiben der Bundesregierung an die Länder, das »nd« vorliegt, konnte die Mitglieder des Bundesrates anscheinend nicht mehr überzeugen. Darin wird vor einer Ablehnung der Verordnung gewarnt, da Änderungen nach dem Selbstbestimmungsgesetz sonst händisch verarbeitet werden und per Post versandt werden müssten, was ein Sicherheitsrisiko darstelle.

Für Linke-Politiker Brückner ist der Vorgang im Bundesrat ein eindeutiges Signal. »Es ist überfällig, dass die Bundesregierung umsteuert«, sagt er und fordert zügig eine neue Regelung unter Beteiligung der queeren Verbände.

Allerdings bedeutet die Streichung von der Tagesordnung nicht zwangsläufig, dass die Verordnung gescheitert ist. Im Gegensatz zu Gesetzen, für deren Gesetzgebungsverfahren es Fristen gibt, müssen im Falle von Verordnungen keine Fristen eingehalten werden, bis sich der Bundesrat damit befasst. Möglich bleibt es also, dass die Verordnung nach Verhandlungen im Hintergrund noch einmal genau so zur Abstimmung kommt. An anderer Stelle wurden diesbezüglich schon Tatsachen geschaffen: Im elektronischen Datensatz für das Meldewesen existieren die neuen Datenblätter seit April.

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