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Kanonenboot-Diplomaten

Ronan Farrow über die Militarisierung der US-Außenpolitik

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Ronan Farrow ist ein Jungstar im US-Medien- und Politikgeschäft. Nicht nur, dass seine Eltern Mia Farrow und Woody Allen heißen, Farrow (Jg. 1987 und Pulitzer-Preisträger 2018) hat mit Recherchen zu den Missbrauchsvorwürfen maßgeblich zum Sturz von Filmproduzent Harvey Weinstein und zur MeToo-Bewegung beigetragen. Zudem war der jugendliche Held schon als Kind ein Überflieger. Mit elf kam er aufs College, mit 16 begann er ein Masterstudium in Yale. Mit 21 trat er ins Außenministerium ein und sammelte unter Spitzendiplomat Richard Holbrooke mit Einsätzen für die UNO sowie in Afghanistan und Nahost diplomatische Erfahrungen.

Ronan Farrow: Das Ende der Diplomatie. Warum der Wandel der amerikanischen Außenpolitik für die Welt so gefährlich ist.
A. d. Engl. v. Helmut Dierlamm und anderen. Rowohlt, 479 S., geb., 22 €.

Nun kritisiert er den Niedergang des klassischen Typs der Diplomatie in den USA zugunsten einer neuen Militarisierung der Außenpolitik. Sichtbar unter anderem daran, dass Präsident Donald Trump das Budget fürs Außenministerium kürzte, Diplomatenbüros leer stehen lässt und das Weiße Haus vermehrt mit Generälen füllte. »Die letzten Diplomaten, Bewahrer einer schwindenden Disziplin, die Amerikanern das Leben rettete und Strukturen schuf, die zu einer stabileren Welt führten, schafften es oft genug gar nicht erst in den Besprechungsraum«, beobachtet Farrow. Er beklagt den Ansehensverlust Washingtons und sieht größere Gefahren für die Welt schon deshalb aufziehen, weil die US-Politik viele Krisengebiete vermehrt durch eine vorrangig oder ausschließlich militärische Brille betrachte. Seine These unterstreicht der Autor unter anderem an den Beispielen der Kriege in Afghanistan und Irak.

Das Buch ist trotz kantigen Themas weithin reines Vergnügen und belegt Farrows Begabung. Ein gestalterischer Mangel ist, dass es mit der Gießkanne startet, ehe es straff und zwingend wird. Ein anderes Manko besteht darin, dass Farrow kein einziges Mal die interessengeleitete Abhängigkeit von Diplomatie erwähnt. Gerade im Fall einer Weltmacht, die lang den Weltpolizisten gegeben hat, macht es ja einen Unterschied, ob diplomatischer Schweiß zur Verhinderung eines Krieges vergossen wird - oder zu seiner Vorbereitung. Insofern hat Farrow im Buch den zwiespältigen Ruf von Diplomatie unterschätzt. Beobachtungen wie die seines Landsmanns Ambrose Bierce, Diplomatie sei »die Kunst des Patrioten, für das Vaterland zu lügen« oder die Erkenntnis, »Ehrliche Diplomatie gibt es genauso wenig wie trockenes Wasser« kommen nicht von ungefähr. Aber erst recht stimmt: Wie schlecht der Ruf von Diplomatie sein mag, der Ruf des Krieges ist schlechter.

Der Autor stellt klar, dass die neue Militarisierung nicht mit Donald Trump begann. Der habe einen Trend nur zu neuen Extremen getrieben, der mit dem 11. September begann. »Von Mogadischu über Damaskus bis nach Islamabad verabschiedeten sich die USA aus dem zivilen Dialog, ersetzten die Werkzeuge der Diplomatie durch direkte, taktische Deals zwischen US-amerikanischem Militär und den ausländischen Streitkräften.« Obwohl Farrow auf die Demokraten mit mehr Sympathie als auf die Republikaner blickt, blendet er nicht aus, dass diese Ablösung durch Kanonenboot-Diplomaten auch unter Obama anhielt. Tragischer Weise habe ausgerechnet dessen Nichteinmischungspolitik, sein Vorsatz, »keine idiotischen Dinge zu tun«, eine Verdoppelung solcher Strategien verursacht: »Seine Regierung war bestrebt, bei ihren Interventionen einen möglichst geringen Fußabdruck zu hinterlassen, und neben dem Einsatz von Drohnen waren Bündnisse mit ausländischen Streitkräften und Milizen eine zentrale Folge dieses Bestrebens.«

Die Militarisierung der Diplomatie, so Farrow, sei viel stärker erfolgt, als dies besorgte Diplomaten vorausgeahnt hätten. Das Pentagon spreche in vielen außenpolitischen Fragen inzwischen nur noch mit seinesgleichen, während man sich im State Department, wie Berufsdiplomat Chris LaVine sagte, »wie die viert- oder fünftwichtigste Instanz der Außenpolitik« fühle. Dort sei es »nicht mehr möglich, ehrliche politische Meinungsverschiedenheiten mit den Uniformierten zu haben, wenn man nicht ganz von der Diskussion ausgeschlossen werden will«.

Obamas Außenminister John Kerry hatte das Atomabkommen mit Iran unterzeichnet. Er verwies auf diese Einigung sowie auf die gleichfalls unter Obama erreichte Normalisierung der Beziehungen zu Kuba und das Pariser Klimaabkommen und stellte fest, dies seien Bereiche gewesen, »in denen wir jeder Regierung, die nach uns kam, realistisch gesagt eine ganze Reihe von Chancen hinterlassen haben, große Chancen, die diverse diplomatische Möglichkeiten eröffneten, die frühere Außenminister mit Freuden ausprobiert hätten.« Trump aber habe die Uhr zurückgedreht.

Mit Blick auf das Iran-Abkommen sagte Kerry: »Er isoliert uns. Wenn der Vertrag scheitert, macht die Welt uns dafür verantwortlich, nicht den Iran.« Und unter Anspielung auf Trumps bekanntestes Buch »The Art of the Deal« (auf Deutsch: Die Kunst des Geschäftemachens) fügte er sarkastisch an: »Wenn das the art of the deal ist, wird einem klar, warum der Kerl siebenmal pleiteging.«

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