US-amerikanische Verhältnisse für Russland

Der Präsident des Verfassungsgerichts spricht sich für Zweiparteiensystem aus

  • Axel Eichholz, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Präsident des russischen Verfassungsgerichts, Waleri Sorkin, hat sich für die Einführung eines Zweiparteiensystems in Russland nach dem Vorbild der USA ausgesprochen. Es sei nicht falsch, sich Erfahrungen anderer zu bedienen, wenn sich diese durch jahrhundertelange praktische Anwendung bewährt hätten, schreibt er in einem am vergangenen Mittwoch in der regierungsnahen »Rossijskaja Gaseta«.

Die von der Verfassung garantierte wirtschaftliche Freiheit würde durch politische Freiheit und politischen Wettbewerb ergänzt, heißt es in dem Artikel. Diese Entwicklung dürfe nicht so verlaufen, dass die Staatsmacht am Ende von einer Partei, Gruppe, Organisation und hinter ihr stehenden Kräften monopolisiert werde. Die Opposition müsse die Möglichkeit erhalten, im Rahmen der Verfassung, das heißt durch ehrliche politische Konkurrenz, an die Macht zu gelangen, so Sorkin. Die Existenz mehrerer Parteien garantiere an sich noch keine beständige Demokratie. Dafür sei eine Stabilität des pluralistischen Systems und eine Konsolidierung der sozialen Kräfte und Bewegungen erforderlich. Es gelte daher, Abweichungen in Richtung des Rechts- und Linksradikalismus zu vermeiden.

Laut Sorkin ist das heutige Modell der liberalen repräsentativen Demokratie in den meisten Industrieländern den Herausforderungen der Neuzeit längst nicht mehr gewachsen. Deshalb gelte es für Russland, ein neues, effektiveres Modell der Volksmacht zu finden. Allerdings gebe es dafür kein universell anwendbares Rezept - auch nicht im Westen. So baue die Schweiz ihr Modell auf dem Begriff der kommunalen und kollektivistischen Freiheit auf. Dies unterscheide sich grundsätzlich von dem anglosächsischen Freiheitsbegriff, der sich von persönlichen Rechten ableite.

Sorkin lehnt eine radikale Verfassungsreform oder gar eine Ablösung der Verfassung von 1993 entschieden ab. Einschneidende Änderungen wären vor allem deshalb gefährlich, weil das Grundgesetz eine sozialintegrierende Funktion erfülle, warnt der Verfassungsrichter. Dies sei der Schlüsselfaktor des gesellschaftlichen Konsenses und folglich der politischen Stabilität im Land. Zwar sei die geltende Verfassung mit zahlreichen Mängeln behaftet. Diese ließen sich aber durch gezielte Änderungen und Ergänzungen abstellen. Gerüchteweise ist von der Umwandlung in eine Parlamentsrepublik mit einer begrenzten Rolle des Präsidenten die Rede.

Nach der Gründung des russischen Verfassungsgerichts 1991 wurde Waleri Sorkin dessen erster Vorsitzender. Im Konflikt zwischen dem Präsidenten Boris Jelzin und dem Obersten Sowjet ergriff er 1993 Partei für das Parlament und erklärte dessen Auflösung durch ein Präsidentendekret für verfassungswidrig. Im KPdSU-Prozess verhinderte er das endgültige Verbot der kommunistischen Ideologie in Russland, was die Neugründung der Kommunistischen Partei de Russischen Föderation (KPRF) ermöglichte. Nach der gewaltsamen Niederschlagung des parlamentarischen Protests musste Sorkin im Oktober 1993 von seinem Posten zurückzutreten. Erst zehn Jahre später erlaubte Präsident Wladimir Putin sein Comeback. Seither galt er aber nicht mehr als Rebell, sondern als loyaler Gefolgsmann.

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