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Queere Community: Angst vor »rosa Listen« und Faschisierung
Bundesweit Demos für das Selbstbestimmungsrecht und gegen »Sonderregister« für trans Menschen
Der Platz der Republik vor dem Reichstagsgebäude in Berlin wird am Donnerstagnachmittag von einem bunten Flaggen-Meer geflutet. Eine erste blau-rosa-weiße trans Flagge hisst Penelope Frank kurz vor Beginn der Demonstration für das Selbstbestimmungsgesetz an ihrem mit Lautsprechern ausgestatteten Lastenrad. Nach und nach gesellen sich mit den rund 200 Demonstrant*innen bunte Regenbogen- und verschiedene andere Pride-Fahnen hinzu.
Frank hat im Mai 2024 das queerfeministische Netzwerk Queermany gegründet, das nun zu einem bundesweiten Protesttag aufgerufen hat. In Berlin, Hannover, Göttingen, Mönchengladbach, Heidelberg und Dessau wird gegen einen Antrag protestiert, den die AfD am selben Abend in den Bundestag einbringt. Darin fordert die rechte Partei, das erst ein Jahr alte Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG) wieder aufzuheben – zum vermeintlichen Schutz von Frauen und Jugendlichen.
Für Frank und viele andere trans Personen ist dieses Gesetz eine große »Erleichterung, weil ich endlich meinen Geschlechtseintrag und meinen Vornamen ändern lassen konnte, ohne lauter intime Fragen beantworten zu müssen«, sagt sie zu »nd«. Zuvor waren solche Änderungen im Personenstandsregister nur nach aufwendigen Verfahren und psychologischen Begutachtungen möglich, die von Betroffenen als entwürdigend empfunden wurden.
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Doch es gibt einen weiteren Grund für den Protest: Das Bundesinnenministerium unter Alexander Dobrindt (CSU) will verordnen, dass frühere Geschlechtseinträge und Namen auch nach einer Personenstandsänderung im Melderegister gespeichert werden – und dass diese Daten an verschiedene Behörden weitergegeben werden können. Frank fürchtet »rosa Listen wie vor 80 Jahren«. In der NS-Zeit wurden queere Menschen zwecks Strafverfolgung in solchen Sonderregistern geführt. Zukünftig könnten trans Menschen durch eine entsprechende Datensammlung durch Beamt*innen zwangsgeoutet werden. Eine Petition von Queermany gegen die »Sonderregister« wurde schon von mehr als 250 000 Menschen unterzeichnet.
Während der AfD-Antrag gegen das Selbstbestimmungsgesetz kaum Aussichten auf Erfolg hat, könnte diese Verordnung – da sie anders als Gesetze nicht vom Parlament verabschiedet werden muss – im November 2026 in Kraft treten. Im elektronischen Datensatz für das Meldewesen existieren die neuen Datenblätter bereits seit April. In ihrer Demo-Rede kritisiert Frank vor allem die SPD: »In der Bundesregierung waltet der Faschismus, weil eine progressive Partei ihre Arbeit nicht macht!« Dagegen gelte es, Widerstand zu leisten.
Auch Demonstrant*in Nati hat »Angst vor dem Faschismus«. Nichtweiße und trans Menschen seien immer zuerst davon betroffen, fürchtet die nichtbinäre Person. Natis Begleiterin Rosa kritisiert, dass die AfD Narrative wie den Schutz von Frauen und Kindern nutze: »Darum geht es gar nicht, sondern darum, trans Menschen Rechte wegzunehmen, um die wir hart gekämpft haben.«
»Es werden immer wieder unnötig Schreckensszenarien über trans Frauen konstruiert, während die alltägliche Gewalt durch cis Männer weitergeht.«
Sibylle Schreiber Geschäftsführerin des Vereins Frauenhauskoordinierung
Die Geschäftsführerin des Vereins Frauenhauskoordinierung, Sibylle Schreiber, widerspricht diesem rechten Narrativ vehement: Die Annahme, dass cis Männer (cis steht für Personen, die sich mit ihrem biologischen beziehungsweise zugewiesenen Geschlecht identifizieren) sich durch Änderung ihres Geschlechtseintrags missbräuchlich Zugang zu Frauenhäusern verschaffen, habe sich als unrealistisch erwiesen, erklärte sie am Donnerstag. »Es werden hier immer wieder unnötig Schreckensszenarien konstruiert, während die alltägliche Gewalt durch cis Männer weitergeht.« Gleichzeitig seien trans, inter und nichtbinäre Menschen stark von Gewalt betroffen und auf einen diskriminierungsfreien Zugang zu Schutzräumen angewiesen.
Sowohl auf der Demo als auch bei der Bundestagsdebatte am Abend wird über den Fall der verurteilten Neofaschist*in Svenja Liebich diskutiert, die die Strafe durch eine Personenstandsänderung im Frauengefängnis absitzen wollte – sich nun jedoch auf der Flucht befindet. »Das Problem ist offensichtlich nicht das Selbstbestimmungsgesetz, sondern die Vollstreckung von Haftbefehlen«, sagt dazu Maik Brückner, queerpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag. Dennoch brauche es ein besseres Gesetz ohne den »skandalösen Hausrechtsparagrafen«, der es Einrichtungen wie Frauen-Saunen gestattet, Menschen unabhängig von ihrem Geschlechtseintrag den Zugang zu verweigern. Dasselbe erklärt auf der Kundgebung auch ein*e Redner*in des Bündnisses Selbstbestimmung Selbst Gemacht, das das aktuelle SBGG abschaffen will und einen alternativen, diskriminierungsfreien Gesetzentwurf erarbeitet hat.
Bevor die Demo am Holocaust-Mahnmal und am Bundesrat vorbei zum Roten Rathaus zieht, hält Nyke Slawik dort die Rede, mit der sie sich später auch an die Bundestagsabgeordneten wendet. Als queerpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion hat sie das SBGG mitverhandelt. »Es geht bei diesem Gesetz um Freiheit, Demokratie und Menschenrechte.« Weltweit würden Freiheitsrechte angegriffen – in den USA jedoch teils auch erfolgreich verteidigt. »Wir können viel gemeinsam bewegen«, schlussfolgert sie und verspricht, auch gegen die Melderegisterverordnung des Innenministeriums zu kämpfen.
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