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Intifada: Terrorismus oder Aufstand?
Dass gerade in Deutschland viele politische Akteure palästinensische Aufstände auf Terrorismus reduzieren, verrät einiges über sie selbst
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) hat ein Antisemitismus-Problem. Ihr Namensgeber, damals Ex-Bundeskanzler, sagte 1965 in einem Fernsehinterview: »Die Macht der Juden – auch heute noch, insbesondere in Amerika – sollte man nicht unterschätzen.« Adenauer schützte und begnadigte auch zahlreiche Täter*innen des Holocausts. Hinzu kommt: Als seine rechte Hand beschäftigte er Hans Globke, den Autor der Nürnberger »Rassengesetze«. Von ihm haben sich die Konservativen nie distanziert: Globkes Portrait hängt weiterhin im Kanzleramt. Zu den wichtigsten Gönner*innen der CDU gehören überdies Erb*innen von Nazi-Milliardären.
Wenn sich die KAS mit ihrem eigenen Erbe befasst, sprudelt es vor Ausreden und Relativierungen. Globke wird etwa zu einer »umstrittenen und komplexen Persönlichkeit« umgedeutet. Keinerlei Nuancen kennt die KAS dagegen, wenn es um die weltweite Solidaritätsbewegung mit Palästina geht. Wenn Demonstrierende fordern, die »Intifada zu globalisieren«, ist das für die Stiftung nicht komplex, sondern gleichbedeutend mit einem Aufruf zu Terroranschlägen gegen Juden.
Auch Anna Staroselski, bekannte Sprecherin des konservativen deutsch-jüdischen Vereins Werte-Initiative, schreibt: »Intifada zu fordern, heißt den Judenmord zu fordern. Nichts anderes!« Viele rechte Publikationen und auch einige jüdische Organisationen definieren den Begriff so.
Doch Forschende wie Yair Wallach, Leiter des Zentrums für Jüdische Studien an der Londoner Universität SOAS, widersprechen: Die Bedeutung des Begriffs hänge vom Kontext ab. »Was die Verwendung des Begriffs im Arabischen betrifft, ist die Sachlage klar: Es handelt sich um einen Begriff mit einer sehr breiten Bedeutung. Ihn pauschal beispielsweise mit «Selbstmordattentat» gleichzusetzen, ist schlichtweg falsch und zeugt von Ignoranz.« Wallach lehnt deshalb Verbote von Parolen mit dem Wort »Intifada«, wie von rechten Akteur*innen oder auch von der KAS gefordert, ab.
In Arabisch-Wörterbüchern heißt es, dass Intifada vom Begriff »abschütteln« stammt, und »Aufstand«, »Erhebung« oder »Rebellion« bedeutet – Unterdrückung wird abgeschüttelt. Das kann sich auf jeden Aufstand beziehen. So heißt der Warschauer Ghettoaufstand der dort 1943 gefangenen polnischen Juden auf Arabisch: »Intifadet Ghetu Warsaw«. In den vergangenen 100 Jahren gab es in der arabischen Welt viele weitere Aufstände, die allesamt »Intifadas« genannt werden, so 1952 im Irak, 1965 in Bahrain, oder 1999 in der Westsahara.
Gemeinhin wird aber ein weltweit bekannter Aufstand als »die« bzw. erste Intifada bezeichnet: Am 9. Dezember 1987 waren vier Palästinenser*innen in Gaza von einem israelischen Militärlastwagen überfahren worden. Erste Proteste dagegen hat die Besatzungsmacht wurden gewaltsam unterdrückt – was wiederum neue auslöste. Bald entwickelte sich daraus ein Massenaufstand in Gaza und der Westbank. Bei dieser ersten palästinensischen Intifada dominierten friedliche Protestformen wie Streiks, Demonstrationen und Steuerboykotts. Mehr als 1000 palästinensische Zivilist*innen wurden dennoch getötet.
»Intifada zu fordern, heißt den Judenmord zu fordern.«
Anna Staroselski Werte-Initiative
»Für mich ist die Intifada eines der Beispiele der Geschichte, in dem Menschen ihr Leben in die eigene Hand nehmen wollten« sagt der deutsch-palästinensische Sozialist Ramsis Kilani, der Ende 2024 wegen »israelfeindlicher« und »Hamas-verherrlichender Aussagen« aus der Linkspartei ausgeschlossen wurde: »Sie haben Frauenräte, Streikkomitees und weitere Formen der Selbstorganisation von unten aufgebaut.«
Die dominierenden politischen Kräfte damals waren die säkulär-nationalistische Fatah und die linke panarabische Volksfront zur Befreiung Palästinas PFLP. Eine sich auf den Islam berufende Widerstandsbewegung – die Hamas – wurde in diesen Tagen erst gegründet und soll in ihrer Entstehung Berichten zufolge heimliche Unterstützung aus Israel bekommen haben, um die säkularen und linken Kräfte zu verdrängen.
Die Massenproteste dieser bekanntesten Intifada und besonders die Arbeitsniederlegungen der Palästinenser*innen trafen die israelische Wirtschaft schwer. Die Regierung von Jitzhak Rabin musste mit dem Oslo-Abkommen von 1993 das Ziel eines unabhängigen palästinensischen Staates anerkennen. Doch in den folgenden Jahren machte Israel keine Schritte, um diesen auch zu ermöglichen – im Gegenteil wurden während des sogenannten »Friedensprozesses« die israelischen Siedlungen in der Westbank und Gaza kontinuierlich ausgebaut.
In diesem Kontext besuchte der rechte israelische Politiker Ariel Scharon am 28. September 2000 den Tempelberg in Jerusalem, der in der islamischen, jüdischen und christlichen Religion ein zentrales Heiligtum ist. Als Verteidigungsminister hatte Scharon bereits 1982 ein Einschreiten gegen das Massaker an Tausenden palästinensischen Flüchtlingen im Libanon verweigert, weswegen er später zurücktreten musste. Auf dem Tempelberg befindet sich auch die Al-Aqsa-Moschee. Scharon plante diese Provokation als Wahlkampfmanöver, und die Proteste dagegen ließen nicht lange auf sich warten – der Aufruhr verhalf dem Rechtsaußen wenige Monate später tatsächlich zum Wahlsieg.
Erst in dieser zweiten palästinensischen Intifada in den Jahren 2000 bis 2005 kam es seitens palästinensischer Gruppen auch zu Selbstmordanschlägen gegen zivile Ziele im israelischen Kernland. Auch während dieser zweiten Intifada gab es aber friedliche Proteste gegen die »Apartheidsmauer« mit palästinensischen, israelischen und internationalen Aktivist*innen. Und sie wurden ebenfalls von Israels Armee brutal unterdrückt.
In Deutschland ist die Annahme verbreitet, alle Jüd*innen würden sich mit Israel identifizieren. Kritiker*innen sehen darin selbst ein antisemitisches Klischee über ein vermeintlich homogenes Volk mit einheitlichen politischen Interessen. Dazu lohnt sich derzeit ein Blick nach New York City – die Stadt mit der größten jüdischen Bevölkerung außerhalb Israels. Bei der Vorwahl der Demokratischen Partei im Juni gewann der 33-jährige muslimische Sozialist Zohran Mamdani wie aus dem Nichts. Mamdani, Mitglied der Democratic Socialists of America, wurde von seinen älteren, weiter rechts stehenden Konkurrent*innen pausenlos wegen seiner Solidarität mit Palästina angegriffen. Obwohl er immer wieder versprach, sich für die Sicherheit jüdischer Bürger*innen einzusetzen, wurde und wird er als Antisemit verunglimpft.
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Die Kritik bezog sich besonders auf ein Interview, in dem er nach verschiedenen Losungen in der Palästina-Bewegung gefragt wurde, etwa »Globalize the Intifada«. Mamdani antwortete, ihm sei bewusst, dass diese unterschiedlich verstanden werden. »Bei vielen höre ich ein verzweifeltes Verlangen nach Gleichheit und gleichen Rechten, und ein Einstehen für die Menschenrechte der Palästinenser*innen«, so Mamdani. Als Muslim, der nach den Anschlägen vom 11. September 2001 aufgewachsen ist, wisse er nur zu gut, wie arabische Wörter verdreht und verzerrt werden. Von der Losung »Globalize the Intifada« distanzierte er sich daher nicht.
Die Vorwahl gewann Mamdani trotzdem – mit großem Vorsprung. Umfragen zeigen, dass er mit 37 Prozent Zuspruch auch unter jüdischen New Yorker*innen der beliebteste Kandidat ist. Das kann als Hinweis darauf gesehen werden, wie sich besonders die jungen Teile der jüdischen Community in den USA angesichts des Genozids in Gaza massenhaft vom Zionismus abwendet.
Auch Liad Hussein Kantorowicz, eine Berliner Jüdin, die in Palästina aufgewachsen ist, sich aber inzwischen als »Ex-Israeli« bezeichnet, assoziiert den Begriff Intifada in erster Linie mit den Protesten der späten 1980er Jahre. Es sei ein »Volksaufstand« gewesen, in dem Frauen und Kinder große und sichtbare Rollen eingenommen hätten, sagte sie im Gespäch mit »nd«. Wenn sie heute das Wort Intifada hört, denkt Kantorowicz an diesen massenhaften Widerstand von Unterdrückten.
Angesichts der Anschläge, die auch im Rahmen der zweiten Intifada verübt wurden, ist es natürlich nachvollziehbar, dass insbesondere viele Jüd*innen den Betriff mit Terror gleichsetzen. Andere verwenden ihn selbst für globale Kämpfe gegen Unterdrückung. Es ist aber ganz eindeutig Antisemitismus, wenn man, wie Adenauer, davon ausgeht, dass »die Juden« einheitliche politische Ansichten zu einer so kontroversen Frage haben könnten oder gar müssten.
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