May blockiert geordneten Brexit

Keine Einigung über künftige EU-Außengrenze in Irland

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Brüssel. Bei einem Brexit-Gipfel versuchen die EU-Staats- und Regierungschefs am Mittwochabend in Brüssel, die festgefahrenen Verhandlungen über den britischen EU-Austritt wieder in Gang zu bringen. Nötig seien konkrete neue Vorschläge aus London, forderte EU-Ratschef Donald Tusk vorab.

Doch es ist unklar, was Premierministerin Theresa May tatsächlich mitbringt, wenn sie sich an Bundeskanzlerin Angela Merkel und die übrigen EU-Kollegen wendet. Eine Kabinettssitzung am Dienstag nutzte die britische Regierungschefin dem Vernehmen nach vor allem dazu, ihre zerstrittenen Minister wieder auf einen Nenner zu bringen. Der lautet: der EU in der Frage nach einer Notfalllösung für die irische Grenze die Stirn bieten. Weder ein Sonderstatus für Nordirland noch eine unbegrenzte Mitgliedschaft Großbritanniens in der Zollunion kommt demnach für London infrage.

Die Verhandlungen über einen Austrittsvertrag hatten am Wochenende einen herben Rückschlag erlitten. Anders als geplant kam vor dem EU-Gipfel keine Einigung über den wichtigsten Knackpunkt im Austrittsabkommen zustande: das Vermeiden von Kontrollen an der künftigen EU-Außengrenze in Irland.

Britische Medien spekulieren, May habe Zugeständnisse an die EU vor allem aus taktischen Gründen auf Eis gelegt, um im innerbritischen Machtkampf Zeit zu gewinnen. Gleichzeitig wolle sie eine Konfrontation mit Brüssel vermeiden. Bei einem Auftritt im Parlament in London am Montag verzichtete sie auf die übliche Anti-EU-Rhetorik. Möglicherweise, so die Vermutung, spekuliere May darauf, bessere Chancen auf eine Zustimmung im Parlament für ihren Brexit-Deal zu haben, je knapper die Zeit wird. Großbritannien will die EU am 29. März 2019 verlassen.

Eine Revolte in ihrer Konservativen Partei konnte May damit vorläufig verhindern. Doch ihre Strategie könnte sich als riskant erweisen. Tusk hält ein Scheitern der Verhandlungen nun für wahrscheinlicher denn je. Der Verhandlungsstand gebe keinen Anlass zu Optimismus, sagte er am Dienstag. EU-Unterhändler Michel Barnier sagte aber, die Gespräche bräuchten noch Zeit und die werde man sich nehmen. Die irische Regierung rechnet erst mit einer Einigung im November oder Dezember.

Ohne Vertrag würde die bereits provisorisch vereinbarte Übergangsfrist bis Ende 2020 entfallen. Ein plötzlicher und vermutlich chaotischer Bruch könnte für die Wirtschaft schwere Verwerfungen und für die Bürger große Unsicherheit bringen.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie drang darauf, den Gipfel unbedingt für Fortschritte zu nutzen. »Die Wirtschaft braucht dringend eine Übergangsphase für den Brexit«, mahnte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. Gefordert sei Realitätssinn in Großbritannien. »Die Angst vor dem Abgrund muss die Fantasie beflügeln.« Ein Scheitern müsse unbedingt vermieden werden.

Die EU soll nach einem Bericht der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« in den bisherigen Verhandlungen zu weitreichenden Zugeständnissen bereit gewesen sein. So soll sie »eine Verlängerung der Übergangsperiode ins Spiel gebracht« haben, zitiert die FAZ aus einem Bericht der Bundesregierung. Damit hätten die Beteiligten mehr Zeit, eine Lösung für die Irland-Frage zu finden. Allerdings können es die Brexit-Befürworter in Großbritannien kaum erwarten, die Trennung endlich zu vollziehen.

Vor dem Gipfel gibt Merkel im Bundestag eine Regierungserklärung zur Europapolitik ab. Nach dem Brexit-Treffen am Mittwochabend schließen sich am Donnerstag Beratungen über weitere schwierige EU-Themen wie Migration und Cybersicherheit an. Zudem soll über die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion beraten werden. Direkt im Anschluss folgen am Donnerstagabend sowie am Freitag außerdem ein Asien-Europa-Gipfel sowie ein EU-Korea-Gipfel. dpa/nd

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