Keine Quelle und kein Glück

Wie sich der Verfassungsschutz vor dem Amri-Untersuchungsausschuss herausredet

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Den Namen Thilo Bork muss man sich nicht merken. Er ist ohnehin falsch. Doch den Mann, der ihn benutzt, muss man sich schon merken. Denn er kann noch etwas werden in der Behörde, die noch immer von Hans-Georg Maaßen geleitet wird - gerade so, als hätte es die unmissverständliche Kritik am Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz nie gegeben. «Thilo Bork» ist seit 2015 als Referatsgruppenleiter Beschaffung in der Abteilung 6 zuständig für die Abwehr von «Islamismus und islamistischen Terrorismus». Er steuert, «im Auftrag der Auswertung», wie er betonte - den Einsatz von V-Leuten im radikalislamischen Milieu. Davon versteht er sicher einiges, denn nachdem der 48-Jährige seinen Anwaltsjob gegen einen Posten beim Geheimdienst getauscht hatte, stieg er unter Maaßen die Karriereleiter nach oben. Er war vier Jahre lang als Quellenführer «auf der Straße», wurde Referatsleiter und hat nun sechs Referate unter sich.

Zu Beginn seines Zeugenauftritts vor dem sogenannten Amri-Untersuchungsausschuss des Bundestages am vergangenen Donnerstag schien es noch so, als sei «Bork» ein recht geübter Wortverführer. Anders als bisher in dem Gremium gehörte Geheimdienstkollegen gab er sich in seinen einführenden Einlassungen auskunftsfreudig. Doch rasch fiel auf, dass er über den Umgang seiner Behörde mit dem späteren mutmaßlichen «Weihnachtsmarktattentäter» Anis Amri wenig sagte. Vielmehr betete er eigentlich nur das nach den NSU-Versagen des Inlandsgeheimdienstes novellierte Verfassungsschutzgesetz vor. Konkret sagte er nur das, was sein Chef Maaßen seit Anfang 2017 der Öffentlichkeit weismachen will: «Wir haben im Fall Amri nichts falsch gemacht», so der Beamte vor dem Ausschuss, der insbesondere untersuchen soll, ob Behörden den Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 hätten verhindern können. Hartnäckig behauptete «Bork», Amri sei eigentlich nur «ein Polizeifall» gewesen, bei dem der Verfassungsschutz «nur begleitend gewirkt» habe. «Wir hatten keine Quelle im Umfeld von Amri», wiederholte er das Mantra seines Chefs.

Man weiß noch immer nicht, wie viele Quellen genau für Bundes- und Landesämter für Verfassungsschutz - neben den Vertrauenspersonen der Polizei - in der Berliner Fussilet-Moschee unterwegs waren. Nach «Borks» Befragung scheint jedoch klar zu sein, dass es allein in dieser Moschee «Beschaffungsaufträge» zu einer «zweistelligen Personenzahl» gab. Eine stattliche Größenordnung, geht man davon aus, dass in den Berliner Radikalentreff insgesamt nur 40 bis 50 Personen verkehrten. Die Moschee war auch ein wichtiger Bezugspunkt für den aus Tunesien stammenden Anis Amri. Aber selbst wenn da eine Quelle gewesen sein sollte, behauptete «Bork», dann sei sie nicht im Umfeld des späteren Attentäters tätig gewesen. Umfeld, so beeilte sich der Geheimdienstler zu erklären, sei «nicht objektbezogen, sondern personenbezogen» zu verstehen. Also selbst wenn eine Quelle mit «ihrem» Beobachtungsobjekt und Amri gemeinsam Tee trinkt, bedeutet das nach BfV-Sicht nicht, dass er im Umfeld des Attentäters tätig ist. Der Zeuge behauptete, dieser sei nie «mit nachrichtendienstlichen Mitteln» beobachtet worden, obwohl eine Kollegin von «Bork», die die Personenakte des späteren Attentäters geführt hat, zuvor genau das ausgesagt hatte.

Weiter beklagte der V-Mann-Spezialist «Bork», wie schwer sein Job sei: «Selbst wenn man Leute kennenlernen will, schafft man das nicht nur, weil man es will.» Das begreift jeder 16-Jährige bereits beim ersten Disko-Besuch. Amri sei ohnehin nur einer unter Hunderten anderen mutmaßlich Terror-Kriminellen gewesen, erklärte der Geheimdienstler. Allein seine Referatsgruppe sei jährlich «mit einer mittleren dreistelligen Zahl von Gefährdungssachverhalten» befasst, bei denen die Möglichkeit eines Anschlages «immer im Raum» stehe«. Amri sei damals nicht besonders auffällig erschienen. Hätte seine Behörde auch nur geahnt, was der Mann im Schilde führt, dann hätten »wir alles rangeschmissen«, beteuerte »Bork« - um anschließend zu behaupten: »Mehr Ressourcen hätten auch nicht mehr gebracht.«

Nicht nur angesichts solcher Widersprüchlichkeiten schmolz die von »Bork« demonstrierte Überlegenheit dahin. Abgeordnete der LINKEN und der Grünen zählten zahlreiche dem Geheimdienst bekannte Alarmzeichen auf: Amri wollte Waffen beschaffen, drohte mit Anschlägen. Zeitweise wurde er von deutschen Sicherheitsbehörden in der höchsten »Gefährdungsstufe« geführt. Wie kein anderer »Gefährder« war er Thema im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum von Polizei und Verfassungsschutzbehörden. Der marokkanische Geheimdienst hat zudem noch kurz vor Amris Tat eine recht detaillierte Warnung übermittelt.

Von alledem wusste »Bork« angeblich nichts, versprach aber, in geschlossener Sitzung mehr zu erzählen. Die Methode, Abgeordnete zu Mitwissern mit Redeverbot zu machen, ist erprobt.

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