• Politik
  • Ermittlungen gegen Correctiv

Presse unter Beschuss

Erstmals ermittelt eine deutsche Staatsanwaltschaft gegen ein Medium wegen »Anstiftung zur Geschäftsgeheimnisweitergabe«

  • Alina Leimbach
  • Lesedauer: 3 Min.

Europa wird gerne als Hort der freien Presse dargestellt - und allen voran Deutschland, das immerhin in den Top 20 der Länder mit der größten Pressefreiheit landet. Doch schon letztes Jahr warnten Reporter ohne Grenzen, dass sich in Europa die Lage der Pressefreiheit im vergangenen Jahr so stark verschlechtert habe »wie in keiner anderen Weltregion«. Journalistinnen und Journalisten seien zunehmend medienfeindlicher Hetze ausgesetzt.

Nun gibt es einen neuen Frontalangriff auf die Pressefreiheit. Ausgerechnet gegen die gemeinnützige Rechercheplattform Correctiv ermittelt die Staatsanwaltschaft Hamburg. Chefredakteur Oliver Schröm steht wegen des Verdachts auf Anstiftung zur Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen im Visier der Ermittler. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft bestätigte das gegenüber »nd«.

Stärkt unabhängigen Journalismus
Jeden Tag lesen rund 25.000 Menschen unsere Artikel im Internet, schon 2600 Digitalabonennt*innen und über 500 Online-Leser unterstützen uns regelmäßig finanziell. Das ist gut, aber da geht noch mehr! Damit wir weiterhin die Themen recherchieren können, die andere ignorieren und euch interessieren. Hier mitmachen!

Unter Oliver Schröm hatte Correctiv im Oktober 2018 zusammen mit 18 Medienpartnern Recherchen zu den CumEx-Files veröffentlicht und damit den größten Steuerraubzug in Europa aufgedeckt: Zwölf EU-Staaten wurden mit CumEx- und ähnlichen Aktiengeschäften um mindestens 55 Milliarden Euro erleichtert. Der Aufschlag war so immens, dass das EU-Parlament Schröm sogar nach Brüssel einlud, um seinen Rat zum Thema einzuholen. Die Vorschläge des Chefredakteurs flossen später in eine Resolution ein, die das EU-Parlament dazu verabschiedete.

Das Pikante an den Ermittlungen: Schröm ist wohl der erste Journalist, gegen den wegen eines möglichen Verstoßes gegen einen Strafrechtsparagraphen zur Geschäftsgeheimnisweitergabe ermittelt wird. Correctiv-Chefredakteur Schröm zeigte sich gegenüber »nd« entsetzt: »Ich bin seit 35 Jahren Journalist. In dieser Zeit wurde immer wieder versucht, gegen Recherchen von mir presserechtlich vorzugehen. Dass nun das Strafrecht verwendet wird, um journalistische Arbeit anzugehen, das hat eine neue Qualität.«

Üblicherweise genießen Journalisten durch ihre Tätigkeit besonderen Schutz. So gilt für sie das Zeugnisverweigerungsrecht. Sie müssen also Details über ihre Informanten nicht preisgeben, selbst wenn gegen diese strafrechtlich ermittelt wird. Informationen, die ihnen zugespielt werden, dürfen sie veröffentlichen. In dem Fall von Correctiv versucht nun die Schweizer Bank Sarasin, über einen Strafrechtsparagrafen zum Geschäftsgeheimnisverrat gegen das Medium vorzugehen. Die Bank tauchte in den CumEx-Files auf und erstattete zunächst Anzeige in der Schweiz.

Einsprechend besorgt zeigt sich auch der Geschäftsführer des Deutschen Journalistenverbands, Frank Überall: »Die Staatsanwaltschaft Hamburg macht sich zum Handlanger einer interessengeleiteten Schweizer Justiz: Investigative Journalisten und ihre Informanten aus der teils hochkriminell agierenden Bankenbranche sollen zum Schweigen gebracht werden.«

Doch es könnte noch schlimmer kommen. Denn der Bundestag berät über die Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Am heutigen Mittwoch wird diese im Rechtsausschuss diskutiert. Die derzeit geplante deutsche Auslegung der Richtlinie würde dafür sorgen, dass Journalisten sogar noch schlechter vor Strafverfolgung in puncto Unternehmensgeheimnisse geschützt sind. Sie sollen nämlich nicht explizit von dem Straftatbestand ausgenommen werden. Für sie sollen sich nur keine strafrechtlichen Konsequenzen ergeben. Die deutsche Umsetzung wäre so gegenüber der EU-Richtlinie eine Verschärfung.

Manuela Rottmann, Grünen-Obfrau im Rechtsausschuss, kritisierte das Vorhaben der Bundesregierung: »Wenn wie geplant der Tatbestand Geheimnisverrat bei Geschäftsgeheimnissen auch für Journalisten gelten soll, ist das höchst problematisch und bedroht die Pressefreiheit.« Es bestehe die Gefahr, dass sich gegen Journalisten viel schneller ein Anfangsverdacht ergebe, so Rottmann gegenüber »nd«. »Wir Grüne fordern, dass Medienvertreter von dem Straftatbestand des Geheimnisverrats genommen werden müssen.«

Auch der rechtspolitische Sprecher der LINKEN, Friedrich Straetmanns, warnte vor der geplanten Form der Richtlinienumsetzung. »Es besteht die Gefahr, dass Unternehmen mit der neuen Rechtslage willkürlich Geheimhaltungsinteresse feststellen, ohne dieses begründen zu müssen.« Die anstehende Sachverständigenanhörung werde angesichts der Ermittlungen gegen den Correctiv-Chefredakteur noch wichtiger. Straetmanns betonte gegenüber »nd«: »Die Linksfraktion wird jedenfalls keinem Gesetz zustimmen, das keinen adäquaten Schutz von Whistleblowern bietet.« Personalien Seite 10

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal