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Ungarns neues »Sklavengesetz«

Regierung setzt Änderung des Arbeitsrechts gegen gesellschaftlichen Widerstand durch

  • Felix Jaitner
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit dem Siegeszug des Neoliberalismus steht das einst progressiv besetzte Wort »Reform« üblicherweise für den Abbau von Sozialstandards und Arbeitsrechten. In Deutschland spricht man bekanntlich auch von den Hartz IV-Reformen.

Die ungarische Regierung plant nun ebenfalls eine »Reform« des Arbeitsgesetzes. Dieses würde es Unternehmen ermöglichen, die Beschäftigten auf 400 Überstunden pro Jahr zu verpflichten - bisher sind es maximal 250. Für die Abgeltung der Überstunden können sich Arbeitgeber statt einem Jahr künftig sogar drei Jahre Zeit lassen. Begleitet von Tumulten im Plenarsaal hat Ungarns Parlament am Mittwoch das umstrittene Gesetz zur Erhöhung von Überstunden gebilligt.

Auf der Straße gibt es Widerstand. Der Gewerkschaftsbund MASZSZ mobilisiert landesweit gegen das umstrittene Gesetz, das im Volksmund bereits »Sklavengesetz« getauft wurde. Am Samstag kamen mehrere tausend Teilnehmer in Budapest zu einer Großdemonstration des Gewerkschaftsbundes zusammen. Arbeitnehmer befürchten, dass durch die Hintertür die Sechstagewoche eingeführt werden könnte. Der MASZSZ droht sogar mit einem Generalstreik, sollte das Gesetz beschlossen werden, was nun passiert ist.

Die Regierung bemüht sich derweil, die Lage zu beruhigen. Der Fidesz-Politiker und Architekt des Gesetzes Lajos Kosa betonte in der vergangenen Woche vor dem Parlament, der Acht-Stunden-Tag werde nicht angetastet. Anfallende Überstunden wurden selbstverständlich vergütet. Auch Viktor Orban verteidigte das Gesetz. Die Gesetzesänderung eröffne jedem Ungarn die Möglichkeit, mehr zu arbeiten und mehr zu verdienen, so der ungarische Ministerpräsident.

Das aktuelle Gesetzesvorhaben der Regierung reiht sich ein in eine Vielzahl unsozialer Maßnahmen, etwa die Einführung einer Einheitssteuer (flat tax), die verringerte Besteuerung von Unternehmensgewinnen oder die Kürzung von Sozial- und Bildungsausgaben. Nach Angaben der ungarischen Forschungsplattform »Policy Agenda« wurden die Zugangskriterien für die reguläre Sozialhilfe so stark eingeschränkt, dass etwa 60 bis 65 Prozent der früheren Empfänger diese verlieren könnten. Dabei reagiert die Regierung auch auf die verschärfte Standortkonkurrenz in der Europäischen Union - insbesondere seit der Eurokrise. Auf einer Rede im rumänischen Băile Tusnad im Sommer 2014 rief Orban die Epoche des »arbeitsbasierten Staates« aus. Liberale Demokratien, so Orban seien im Zeitalter der Globalisierung nicht in der Lage, die Wettbewerbsfähigkeit einer Nation zu gewährleisten. Im Wettlauf um die ökonomisch erfolgreichste Staatsform müsse sich Ungarn künftig an Staaten wie der Türkei, China und Russland orientieren.

Im Zuge der Eurozonenkrise war die Orban-Regierung darum bemüht, die Handlungsfähigkeit des Staates zu stärken. Von 2009 bis 2016 sind die ungarischen Auslandsschulden im Verhältnis von 150 Prozent auf 96 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zurückgegangen. Obwohl die Regierung den Einfluss internationaler Banken zurückgedrängt hat, sind die Gesetze zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit durchaus im Interesse internationaler Investoren. »Wenn ich mit Investoren verhandle, interessieren die sich nicht dafür, wie ein Land dargestellt wird. Die interessieren sich für den Shareholdervalue«, sagt der ungarische Außenminister Péter Szijjártó im Gespräch mit dem »Standard«.

Nach Ansicht des Ökonomen Joachim Becker von der Wirtschaftsuniversität Wien setzt die ungarische Regierung auf einen »selektiven Wirtschaftsnationalismus« zur Stärkung einheimischer Unternehmer, die in geschützten Sektoren über öffentliche Aufträge oder staatliche Kreditvergaben gefördert werden. Die Exportsektoren sind jedoch weitgehend von transnationalen Konzernen kontrolliert. Insbesondere für die deutsche Autoindustrie hat Ungarn eine große Bedeutung. Mercedes und Audi haben große Produktionsstandorte im Land. Im Sommer kündigte BMW an, ein Werk in Ungarn aufzubauen. Ob deutsche Konzerne zu Gunsten des neuen Arbeitsgesetzes lobbyierten, kann nicht bestätigt werden. Die deutsche Außenhandelskammer in Budapest gab auf Nachfrage des »nd« an, an keinen Konsultationen zu dem Gesetz beteiligt gewesen zu sein.

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