Luft, Bett und Nahostkonflikt

Airbnb will keine Unterkünfte mehr in israelischen Siedlungen vermitteln. Von Oliver Eberhardt

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 5 Min.

Israelische Siedlungen im Westjordanland sind meist Orte wie aus dem Baukasten: Damit es schnell geht und möglichst viele Menschen untergebracht werden konnten, wurden in den 70er Jahren zunächst standardisierte Plattenbauten hochgezogen. Seit den 80er Jahren kamen dann, ebenso uniform, die Wohnhäuser mit den roten Dächern hinzu, die heute zu einer Art Wahrzeichen geworden sind. Auf besetztem Gebiet gebaut, damit völkerrechtlich illegal seien diese Ortschaften, lautet überwiegend die Einschätzung in der internationalen Gemeinschaft. Umstritten sei das Gebiet zwischen der einstigen Waffenstillstandslinie mit Jordanien aus dem Jahr 1949 und der heutigen Grenze zum Nachbarland, betont indes Israels Rechte und meint damit: Alles ist Verhandlungssache.

Es ist ein komplizierter Streit, in den nun Airbnb hineingeraten ist, ein Unternehmen, das weltweit Unterkünfte in Wohnungen vermittelt. Denn die Siedlungen sind nicht nur ein Konvolut aus grauer Platte und beigem Einheitsbau; im Laufe der Jahre haben sich einige der Siedler hier ein kleines Idyll eingerichtet: Weinreben, üppige Gärten und ausladende Terrassen, von denen der Blick weit über die beeindruckende, karge Landschaft des Westjordanlandes reicht, das im Narrativ der israelischen Rechten mit den biblischen Regionalbezeichnungen Judäa und Samaria versehen wird. Und einige der Israelis, die hier leben, hoffen auf das touristische Potenzial, bieten Unterkünfte auf der Airbnb-Webseite an.

Doch damit soll nun Schluss sein: Im November kündigte das Unternehmen an, Unterkünfte in israelischen Siedlungen aus seinem Angebot zu entfernen, um die 200 sollen es einem Bericht der Zeitung »Jedioth Ahronoth« zufolge sein. »Die israelischen Siedlungen befinden sich im Zentrum des Streits zwischen Israelis und Palästinensern. Viele in der internationalen Gemeinschaft sind der Ansicht, dass Unternehmen hier nicht tätig sein sollten, weil sie davon überzeugt sind, dass man keine Gewinne in Gebieten erzielen sollte, aus denen Menschen vertrieben worden sind«, heißt es in einer Mitteilung.

Die rief unverzüglich Betroffene und Politik gleichermaßen auf den Plan: Israels Regierung ist fest davon überzeugt, dass die internationale Boykott-Bewegung dahintersteckt, die vor allem damit von sich reden macht, dass sie Künstler massiv unter Druck setzt, die in Israel auftreten wollen. Die Entscheidung diskriminiere auf der Grundlage von Herkunft und Religion. Israels Tourismusminister Jariv Levin und Gilad Erdan, Minister für strategische Angelegenheiten, haben nun eine Arbeitsgruppe gebildet. Deren Aufgabe: Wege zu finden, Airbnb von seiner Entscheidung abzubringen - mit gutem Zureden und, falls notwendig, auch durch Druck.

18 US-Bürger, von denen 17 Wohnungen in Siedlungen besitzen und ein weiterer Airbnb-Kunde ist, haben bereits im US-Bundesstaat Delaware eine Sammelklage erhoben, in der sie sich ebenfalls auf Diskriminierung berufen, durch die ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden entstehe. Auch in Israel wurde Klage eingereicht: Die Siedlerin Maanit Rabinowitsch fordert wegen »erheblicher Diskriminierung« vor dem Distriktgericht Jerusalem einen Schadenersatz von umgerechnet rund 7000 Euro: Das Vorgehen von Airbnb richte sich ausschließlich gegen Israelis, während das Unternehmen weiterhin Unterkünfte in palästinensischen Ortschaften im Westjordanland und sogar im Gazastreifen vermittle, wo die Hamas regiert.

Dass man so viel Energie darauf verwendet, die Entscheidung eines Unternehmens zu ändern, dürfte allerdings nicht so sehr am Finanziellen liegen: Ein Blick in die Airbnb-Datenbank zeigt, dass die Preise pro Nacht mit höchstens 40 US-Dollar weit unter dem liegen, was in Israel selbst verlangt wird; mehrere Vermieter bezeichnen die Einnahmen als »Zubrot« und »Taschengeld«. Denn die meisten Siedlungen sind viel zu entlegen, für ausländische Touristen nicht attraktiv. Aus Sicht von Tourismusminister Levin geht es vor allem darum, »gegen Aufrufe zum Boykott Israels« anzugehen, und außerdem »verdiene jeder Interessierte« die Möglichkeit, »mit eigenen Augen zu sehen, wie es in den Siedlungen wirklich aussieht, und die Menschen dort persönlich kennenzulernen«.

Denn die Siedlungen stehen auch im Mittelpunkt umfangreicher PR-Bemühungen. Während die palästinensische Regierung unter Führung von Präsident Mahmud Abbas die Ausweitung von israelischen Siedlungen auf palästinensisches Privatland und Gewaltakte durch ultrarechte israelische Jugendliche in den Vordergrund stellt, versuchen der Jescha-Rat, eine Lobbyorganisation der Siedler, und ihre Unterstützer in Parlament und Regierung die Siedlungen als Teil Israels darzustellen, in dem sich das Leben genauso abspielt wie in Tel Aviv, Haifa oder Jerusalem. Dabei wird gern betont, dass in den Siedlungen auch Zehntausende Palästinenser Arbeit finden.

Kurzzeitig sah es nun so aus, als hätten Levin und Erdan Erfolg gehabt. Der Übernachtungsvermittler habe mitgeteilt, man werde die Entscheidung nicht umsetzen, so Levin Mitte Dezember. Doch bei Airbnb bestreitet man das: Man arbeite zurzeit an der Umsetzung der Richtlinie.

Israelische Linke fordern derweil, Buchungsportale sollten grundsätzlich ausweisen, wenn sich eine Unterkunft jenseits der Grünen Linie befindet, heißt es in einer Mitteilung der linksliberalen Meretz-Partei, deren Abgeordnete sich aber nicht einig sind, ob solche Angebote ganz gestrichen werden sollten. Bei der Arabischen Liste, einem Wahlbündnis aus drei arabischen Parteien, kritisiert man derweil, dass die Airbnb-Entscheidung inkonsequent sei: Denn von Ost-Jerusalem ist bislang keine Rede - und gerade hier werden die meisten Unterkünfte angeboten, ist die Situation am komplexesten: Anfang der 80er Jahre hatte Israel den Ostteil der Stadt annektiert. Gleichzeitig entstanden dort Siedlungen, die heute direkt in das Stadtgebiet übergehen. Außerdem entstanden außerhalb weitere Siedlungen, die dann eingemeindet wurden. Außenstehende, die mit der komplizierten Geschichte nicht vertraut sind, können heute überhaupt nicht mehr unterscheiden, wo noch Israel ist und wo besetztes Gebiet.

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