Nach vier Jahren: Besetzte Fabrik in Florenz von Räumung bedroht

Alle verbliebenen Arbeitsverträge des Fabrikkollektivs ex-GKN gekündigt

Protest für dass Fabrikkollektiv beim G20-Gipfel in Rom 2021. »Insorgiamo« heißt auf deutsch »Erheben wir uns«.
Protest für dass Fabrikkollektiv beim G20-Gipfel in Rom 2021. »Insorgiamo« heißt auf deutsch »Erheben wir uns«.

Ausgerechnet zum vierten Jahrestag der Werksbesetzung eines ehemaligen Automobilzulieferers spitzt sich die Lage für das Fabrikkollektiv ex-GKN dramatisch zu: Denn Ende Juni beschloss ein Finanzgericht die Räumung der Fabrik, wie Cedric Büchling, Teil eines Unterstützungsnetzwerks, »nd« berichtet. Vorausgegangen war diesem Schritt die Kündigung der etwa 120 verbliebenen Arbeitsverträge. Es war die dritte Kündigungswelle – und die erste, die vor Gericht bestand.

Genau vier Jahre liegt der erste Versuch zurück, die Belegschaft loszuwerden: Am 9. Juli 2021 wurde allen GKN-Angestellten in Campi Bisenzio über Nacht per Mail gekündigt. Das schon Jahre zuvor gegründete »Fabrikkollektiv«, ein Zusammenschluss der Arbeiter*innen, ging erfolgreich gerichtlich vor und versammelte alle Beschäftigten zu einer permanenten Betriebsversammlung an dem Produktionsstandort, die bis heute anhält. Doch mit der Räumungsanordnung ist deren Fortgang so ungewiss wie nie. Dabei deutet vieles darauf hin, dass es dem Eigentümer des Geländes nicht um die Neuansiedlung eines weiteren Unternehmens geht – sondern lediglich um Immobilienspekulation.

Hoffnung für das Fabrikkollektiv birgt ein Gesetz der toskanischen Landesregierung vom Dezember 2024, das genau solchen Spekulanten entgegenwirken soll: Es ermöglicht die Gründung von Industriekonsortien in öffentlicher Hand, die die Reindustrialisierung stillgelegter Produktionsstätten fördern sollen, insbesondere durch die Unterstützung von Arbeitergenossenschaften.

Dieses Gesetz könne die Rechtsgrundlage bieten für das Vorhaben des Fabrikkollektivs, in Campi Bisenzio als Genossenschaft Lastenräder und Solarpanele zu produzieren. Mit diesem Plan haben sich die Arbeiter*innen viel Unterstützung in der Region und ganz Europa eingebracht. Vielen dient das Projekt als Vorbild für die Konversion der fossilen Autoindustrie, auch in Deutschland. Im kleinen Maßstab läuft die Herstellung von Rädern bereits, eine Genossenschaft ex-GKN for Future mit Anteilszusagen in Höhe von über einer Millionen Euro steht in den Startlöchern und die italienische Genossenschaftsbank Banca Etica hat ein »Reindustrialisierungskonzept« für finanziell tragfähig befunden.

Ende vergangener Woche hat die dritte Gemeinde der Region beschlossen, dem Industriekonsortium der Region Florenz beizutreten, das die ehemalige GKN-Fabrik übernehmen und anschließend an die Genossenschaft des Fabrikkollektivs übertragen könnte. Mitte Juli soll mit der Stadt Florenz die vierte und letzte Gemeinde der Region über ihren Beitritt zu diesem rechtlichen Zusammenschluss entscheiden. Für August ist dann die erste Gesellschafterversammlung des Konsortiums geplant und das Fabrikkollektiv hofft, dass möglichst bald über die Übernahme entschieden wird.

Doch was ist, wenn die Räumung der Fabrik dem zuvorkommt? Würde sie das Ende des Kampfes für eine Umstellung vom Autozulieferer zum Lastenradhersteller in Arbeiterhand bedeuten? Nicht unbedingt: Das 40 000 Quadratmeter große Industrieareal würde zunächst weiterhin brachliegen, das Gesetz der Landesregierung dementsprechend weiterhin greifen. Aber, meint Büchling: »Im Zweifel könnte es dazu kommen, dass eine Ausweichfläche gefunden werden muss.«

Büchling hält es für unwahrscheinlich, dass eine Räumung unmittelbar bevorsteht. Zumindest nicht vor den »großen Events« am Wochenende, für die er und viele andere Unterstützer*innen aus ganz Europa nach Italien reisen werden. Gemeint ist die Feier des vierten Jahrestags der Besetzung am Freitag mit vielen Konzerten mitten in Florenz. Und die große Genossenschaftsversammlung am Samstag.

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