Die positiven Eindrücke überwiegen

Auch wenn die deutschen Handballer am Ende unglücklich die erhoffte Medaille verpassen: Die Heim-WM war in allen Belangen ein Erfolg

  • Michael Wilkening, Herning
  • Lesedauer: 4 Min.

Es hätte nicht mehr Drama sein können, mit dem die deutschen Handballer die Weltmeisterschaft beendeten. Eine bittere 25:26-Niederlage gegen Frankreich in letzter Sekunde bedeutete das Verpassen einer Medaille und sorgte für ein bitteres Ende für eine Mannschaft, die einen solchen Abschluss mit ihrem Auftreten in den vergangenen zweieinhalb Wochen nicht verdient hatte. Am Ende standen der vierte Rang und die Erkenntnis, das eigene Land in eine Euphorie für den eigenen Sport versetzt zu haben. Die positiven Eindrücke überwogen, obwohl es am Sonntag nicht zur erhofften Bronzemedaille reichte. Die wichtigsten Erkenntnisse der Heim-WM aus deutscher Sicht:

Trainer und Mannschaft haben zueinander gefunden

Vor einem Jahr war das erste Turnier mit Bundestrainer Christian Prokop krachend gescheitert. Der heute 40-Jährige hatte versucht, seine Idee vom Handball auf eine Mannschaft zu übertragen, die ablehnend darauf reagierte, auf diese Weise bevormundet zu werden. Bei der WM 2019 haben Trainer und Spieler gezeigt, dass sie die richtigen Lehren gezogen haben. Die Mannschaft zeigte sich den Ideen Prokops gegenüber offener und der war im Gegenzug bereit, den Akteuren mehr Verantwortung zu übertragen. So trat die deutsche Mannschaft als Einheit auf, die ein großes gemeinsames Ziel verfolgte. Es bleibt zu hoffen, dass diese Symbiose über den Zeitraum der Heimweltmeisterschaft hinaus anhält.

Es fehlt ein Regisseur von internationalem Format

Die Verletzung von Martin Strobel in der Hauptrunde schockte das Team, denn der 32-Jährige hatte bis dahin ein starkes Turnier gespielt. Dass auf der Position Nachholbedarf besteht, bewies bereits die Nominierung von Strobel, der zwei Jahre lange keine Rolle mehr gespielt hatte und mit Balingen in der 2. Liga aktiv ist. Auch mit ihm fehlte der deutschen Mannschaft ein Topmann auf der Mitte. Es gibt keinen Ausnahmekönner wie Mikkel Hansen (Dänemark) oder Sander Sagosen (Norwegen). Paul Drux und der 22-jährige Tim Suton müssen in den kommenden Jahren nachweisen, dass sie internationale Klasse haben. Vielleicht wird aber auch Linkshänder Fabian Wiede dauerhaft als Spielmacher fungieren müssen.

Die Abwehr ist Weltklasse

Mal wurde sie »Mauer von Berlin« betitelt, später als »Mauer von Köln« - die Abwehr der deutschen Mannschaft genügte höchsten Ansprüchen, auch wenn die Norweger im Halbfinale zeigten, dass jede Mauer niedergerissen werden kann. »Wir können die beste Abwehr der Welt stellen«, sagte Bob Hanning, Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB). Ob in der gewohnten 6:0-Formation oder in einer offensiveren 3:2:1-Variante: Die Deutschen sorgten immer wieder für Verzweiflung beim Gegner. Weil sie jetzt zwei Systeme nahezu perfekt beherrschen und dadurch an Flexibilität gewonnen haben, stimmt Hannings Aussage. Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek fügten sich im Innenblock zu einer perfekten Symbiose zusammen.

Uwe Gensheimer ist ein echter Kapitän

An der individuellen Qualität von Uwe Gensheimer hatte es nie Zweifel gegeben. Der Linksaußen gehört seit Jahren weltweit zu den besten Spielern auf seiner Position, manch einer behauptet sogar, er sei der beste Linksaußen der Welt. Das stellte er während der Heim-WM unter Beweis, auf den Publikumsliebling war auf dem Spielfeld Verlass. Seiner Rolle als Kapitän wurde er nicht nur als Leistungsträger gerecht, sondern auch abseits des Platzes, er stellte sich jedem Interview und erfüllte jeden Autogrammwunsch, auch nach bitteren Niederlagen.

Deutschland ist ein Handball-Land

Beim Duell zwischen Brasilien und Island waren mehr als 14 000 Zuschauer in der Kölner Arena und sorgten für eine fantastische Stimmung. In Sachen Begeisterung hat Deutschland Co-Gastgeber Dänemark deutlich ausgestochen. Auch die Münchner Arena, in der keine deutschen Spiele ausgetragen wurden, erlebte eine tolle Atmosphäre, so dass sich alle Gäste heimisch fühlen konnten. »So etwas habe ich noch nie erlebt«, sagte Erwin Feuchtmann, nachdem der Chilene mit deutschen Wurzeln nach einer Niederlage seiner Mannschaft in der Platzierungsrunde der schwachen Nationen von mehr als 13 000 Zuschauern in Köln gefeiert wurde. In keinem Land der Welt ist der Handball derart zu Hause.

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