Wichtiger Rückenwind für die deutsche Nationalmannschaft

Die Fußball-Nationalelf will in Nordirland den nächsten Schritt in Richtung WM-Qualifikation machen

  • Frank Hellmann, Sinsheim/Belfast
  • Lesedauer: 5 Min.
Das hat geklappt: Gegen Luxemburg konnten besonders die Bayern-Spieler um Serge Gnabry (r.) überzeugen.
Das hat geklappt: Gegen Luxemburg konnten besonders die Bayern-Spieler um Serge Gnabry (r.) überzeugen.

Von den Mächten der Natur erzählt Belfast den Menschen vieles. Vor mehr als 100 Jahren ist hier die Titanic vom Stapel gelaufen, weshalb an der Stelle der ehemaligen Werft ein Museum mit Erinnerungen an den berühmtesten Schiffsuntergang der Welt steht, was fast jeden Besucher der nordirischen Hauptstadt lockt. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat weder Zeit noch Muße, sich hier umzusehen, aber die Aufgabe im Windsor-Park hält ohnehin genügend Herausforderungen bereit. Untergangsszenarien werden in der Heimat zwar nach dem 4:0-Pflichtsieg gegen Luxemburg keine mehr verbreitet, aber eine Niederlage gegen die Nordiren sollte sich der vierfache Weltmeister in Belfast am Montagabend besser nicht erlauben.

Nordirland wird der härtere Gegner

»Da müssen wir auf jeden Fall eine Schippe drauflegen und die Lust aufs Gegenpressing mitnehmen, aufs gemeinschaftliche Verteidigen. Weil der Gegner zu Hause spielt, mit frenetischen Fans im Rücken, und diese langen Bälle noch klarer und strukturierter spielt, mit noch mehr Personal und Körperlichkeit«, sprach Bundestrainer Julian Nagelsmann bereits am Freitag in Sinsheim ein Wort zum Sonntag – und erteilte folgenden Auftrag: »Am Ende müssen wir das Spiel gewinnen. Das steht über allem. Es ist nicht ratsam, immer die Tabelle zu lesen, wenn es noch nicht vorbei ist.« Zudem gibt die »Green and White Army«, wie die leidenschaftlichen nordirischen Fans genannt werden, einen zwölften Mann auf den Rängen. Der Gast ist daher für jeden Rückenwind dankbar.

Nagelsmann hielt bei der Ehrenrunde an ehemaliger Wirkungsstätte fast symbolisch Abstand zu seinen Spielern: Der entscheidende Schritt für die WM-Qualifikation war das noch nicht. Zudem stand im Kraichgau die Frage im Raum, ob die DFB-Auswahl gegen einen fast 70 Minuten in Unterzahl spielenden Gegner aus dem kleinen Großherzogtum nicht noch mehr Tore hätte schießen können. Der 38-Jährige wollte diese Debatte nicht führen. »Klar kann man mit der Dominanz mehr Tore machen. Aber am Ende war es ein verdienter Sieg, den wir gebraucht haben.« Zumal sich die Ausgangslage schlagartig veränderte: Weil Nordirland zeitgleich 2:0 gegen die Slowaken gewann, weisen nach drei Spieltagen drei Teams sechs Punkte auf.

Die Außenverteidiger brachten in Sinsheim den Sieg

Hilfreich, dass der Ex-Hoffenheimer David Raum seine gestiegene Verantwortung als Kapitän von RB Leipzig beim Freistoß zum 1:0 nutzte. Er habe schon am Spieltag ein »gutes Gefühl« gehabt und vor der Ausführung dem Kollegen Florian Wirtz geflüstert, dass er doch den Ball gerne für sein erstes Länderspieltor über die Mauer heben könnte, verriet der Linksverteidiger. Gesagt, getan. Das 2:0 steuerte dann Kapitän Joshua Kimmich mit dem erst nach Intervention des Video-Schiedsrichters verhängten Handelfmeter bei, in dessen Folge auch noch der Luxemburger Dirk Carlson eine Rote Karte sah.

Dass Kimmich wieder jene hybride Rolle – ein Wechselspiel zwischen Rechtsverteidiger und Mittelfeldlenker – einnahm, die ihm bereits Hansi Flick am Ende seiner Amtszeit zuteilte, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. »Für mich ist es selbstverständlich, da zu spielen, wo der Trainer mich sieht. Im Verein ist es ganz klar die Sechs, hier ist kein Problem, wenn es mal rechts oder im Mittelfeld ist«, richtete der Diplomat in Stollenschuhen aus. Nagelsmann befand, dass Kimmich genau dieselbe Position wie beim FC Bayern bekleide. Ob das auch gegen stärkere Gegner gut geht, könnte in Zukunft spannend werden.

Wirtz und Woltemade glücklos

Auffällig in der Gegenwart war, dass das Selbstverständnis von fünf Münchner Nationalspielern für Sicherheit sorgte. Aleksandar Pavlović und Leon Goretzka harmonierten gut auf der Doppel-Sechs, aus der Dreierreihe davor stach Serge Gnabry heraus, dessen Vollsprint gegen den Ball nach einer halben Stunde für Nagelsmann Vorbildwirkung besaß. Ansonsten war der Bayer viel damit beschäftigt, ein verbales Schutzschild für seine England-Legionäre Florian Wirtz und Nick Woltemade zu errichten, die er bei den vielen Ausfällen in der Offensive in diesem Herbst dringend braucht.

Genau wie beim FC Liverpool war Deutschlands Fußballer des Jahres auch im Nationaltrikot diesmal kein Tor vergönnt. Ein Freistoß klatschte nach gut einer Stunde gegen den Pfosten – im Hinspiel gegen die Nordiren hatte Zauberfuß Wirtz noch getroffen. »Er hat super viele Aktionen gehabt, viel probiert. Ich habe ihn total befreit erlebt. Er wird auch jetzt arbeiten«, versicherte Nagelsmann, der parallel den in der Nationalelf weiterhin torlosen Mittelstürmer Woltemade verteidigte: »Nick muss einfach dranbleiben. Er hat einen guten Lauf bei Newcastle. Er wird auch bei uns treffen.« Was die Wahrscheinlichkeit zwangsläufig erhöhen würde, dass der Belfast-Trip hinterher vielleicht der wichtigste Wegweiser zur WM 2026 wird.

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