Visionen für ein neues Europa

Gregor Gysi und LINKE-Europaminister appellieren an die Bürger, im Mai zur Wahl zu gehen

Für Gregor Gysi steht fest: Die LINKE muss Bürgerinnen und Bürgern vor der Europawahl positivere Botschaften vermitteln. Zeigen, dass die EU ihnen ganz persönlich etwas bringen könne, wenn nur die Richtigen in ausreichender Zahl im Parlament in Straßburg säßen. Nur dann könne seine Partei im Mai an Stärke gewinnen, sagte der Präsident der Europäischen Linken (EL) am Montag in Berlin. Zusammen mit der Vorsitzenden der EL-Fraktion im Europaparlament, Gabi Zimmer, und drei LINKE-Ministern stellte er ein gemeinsames Papier unter dem Titel »Ja: Wir sind Europäerinnen und Europäer« vor. Unterzeichnet haben es neben Gysi und Zimmer der Berliner Kultur- und Europa-Minister Klaus Lederer, Brandenburgs Justiz- und Europaminister Stefan Ludwig sowie der Thüringer Kultur- und Europaminister Benjamin-Immanuel Hoff.

»Mit der Erklärung wenden wir uns an unsere Bevölkerung«, sagte Gysi. Sie sei ein Appell an Wählerinnen und Wähler, »nicht nur ihr Recht, sondern auch ihre Verantwortung wahrzunehmen«, die EU nicht den Rechten zu überlassen, aber auch nicht denen, die für ein neoliberales »Weiter so« stehen. Derzeit, so Gysi, werde die LINKE zu wenig als proeuropäische Partei wahrgenommen. Dem wolle man mit der Stellungnahme entgegenwirken.

Dennoch ist das Papier letztlich vor allem ein Signal an die eigene Partei. So betonte Klaus Lederer, selbstverständlich werde er wie die anderen Unterzeichner auf dem Europa-Parteitag der LINKEN um Mehrheiten für die darin vertretenen Positionen werben. Ihm wie Gysi geht es offenbar vor allem um ein weniger harsches Formulieren von Kritik an der EU. Diesbezüglich scheint einigen aus dem Reformerlager der Partei die Wortwahl im Entwurf des LINKE-Bundesvorstands für ein Europa-Wahlprogramm zu missfallen. Klaus Lederer monierte etwa zu viele »holzschnittartige Begriffe« bei manchen Genossen. Es sei aber nötig, die »Komplexität der Verhältnisse« und damit auch die durch die Existenz der EU bedingten Fortschritte im Zusammenleben wahrzunehmen.

Inhaltlich scheinen die Differenzen innerhalb der Linkspartei bei der Beurteilung der EU so gewaltig nicht zu sein. Ein »Zurück zum Nationalstaat«, vor dem Gysi warnte, fordern in ihr nur wenige. Gestritten wird insbesondere darüber, ob die EU reformierbar ist oder nicht.

Ein »Neustart« der Union wird sowohl im Vorstandsentwurf als auch im Papier der Fünf verlangt. Doch während es im Entwurf heißt, in die Verträge der EU seien »Neoliberalismus und Profitstreben eingeschrieben«, formulieren Zimmer, Gysi und die Minister neutraler, die »Fokussierung auf ökonomische Interessen« gehöre zur »DNA der Europäischen Union«.

Die vom Parteivorstand formulierten Ziele für eine andere Union dürften derweil in allen LINKE-Lagern Konsens sein. Dazu gehören etwa die Durchsetzung sozialer Menschenrechte, Solidarität mit Geflüchteten statt Abschottung und aktive Friedenspolitik statt Aufrüstung.

Gysi monierte aber, es sei nicht zielführend, wenn Genossen die EU als »militaristisch« bezeichneten, obwohl sie erst im Begriff sei, dies zu werden. Solange noch keine gemeinsame EU-Armee existiere, könne man davon nicht sprechen, meinte der Politiker. Dabei wurde bereits 2009 mit dem Vertrag von Lissabon unter anderem eine massive Aufrüstung der EU im Rahmen der »Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik« festgeschrieben.

Gabi Zimmer hob derweil die Chancen hervor, die sich aus der mit dem Lissaboner Abkommen vollzogenen Stärkung des Europaparlaments ergeben. Als Beispiele für Aktionsmöglichkeiten linker Fraktionen nannte sie die Schaffung eines Rahmens für eine Mindestlohnrichtlinie sowie mehr soziale und ökologische Standards. Weiter könne eine »Neuregelung der Dublin-Verordnung« auf den Weg gebracht werden, sagte Zimmer. Die Verordnung schreibt die derzeitige ungerechte Verteilung von Geflüchteten in der EU zulasten der Mittelmeeranrainerstaaten fest.

Im Papier wird betont, »Europa« sei mehr als Politik für Konzerne und Militarisierung. Denn die Gesellschaften der Mitgliedsstaaten bezögen sich auf eine »gemeinsame Wertebasis: Aufklärung, Menschenrechte, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, Demokratie, Freiheit und Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, Vielfalt und Toleranz«. Die »Republik Europa« stehe zwar nicht auf der Tagesordnung, heißt es weiter. Sie sei »gleichwohl eine Vision und ein Ziel unseres Handelns«. In Passagen wie dieser klingt sie ähnlich wie die Veröffentlichungen der EU-freundlichen Bürgerbewegung »Pulse of Europe«. Positive Erfahrungen mit dem »Wertefundament« macht allerdings nur die Minderheit der Wohlhabenden und Hochqualifizierten.

Brandenburgs Justizminister Ludwig betonte, die EU-Fördermittel hätten einen maßgeblichen Beitrag zur Entwicklung der Infrastruktur seines Bundeslandes geleistet. Es sei insbesondere in den 1990er Jahren »Profiteur des Europäischen Strukturfonds gewesen«. Auch im Papier wird die positive Wirkung von EU-Regularien und -Fördermitteln für Ostdeutschland hervorgehoben.

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