Keine Berührungsängste gegenüber Rechts

Politiker der Grünen und der rechten polnischen PiS lehnen Nord Stream 2 ab. Ein gemeinsames Podium ist geplant

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 5 Min.

Auf dem Parteitag der Grünen im November vergangenen Jahres in Leipzig konnte man beobachten, wie ihr Europawahlkampf aussehen soll. Nahezu jeder Redner betonte, dass der Vormarsch der Rechtspopulisten gestoppt werden müsse. Dazu wurden Flaggen mit goldenen Sternen vor azurblauem Hintergrund geschwenkt. Die Grünen stellen sich gerne als liberale Kraft dar, die den rechten Feinden der EU am wirkungsvollsten Paroli bieten kann.

Doch so einfach ist es nicht. In einzelnen Fragen stehen sich einige Politiker der äußersten Rechten und der Grünen nahe. Am 14. März ist ein öffentlicher Austausch geplant. Die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung lädt zu einer Veranstaltung ein, die sich mit der EU-Energieunion beschäftigen will. Auf dem Podium soll neben Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, der Krakauer Professorin Beata Molo und dem Chef der Europäischen Grünen, Reinhard Bütikofer, auch Zdzisław Krasnodębski Platz nehmen.

Anwort von Reinhard Bütikofer

In der Diskussion um den Bau von Nord Stream 2 geht es aus Sicht der Grünen auch um Solidarität in der EU. Bedeutet das in dieser Frage aus Ihrer Sicht auch Solidarität mit der derzeitigen polnischen Regierung?

Beim Bau von Nord Stream 2 gibt es nach meiner Kenntnis zwischen den verschiedenen politischen Parteien in Polen eine große Übereinstimmung. Diesen Bau abzulehnen. Mit dieser polnischen Haltung bin ich aus vielen Gründen, die ich öffentlich immer wieder dargelegt habe, solidarisch.

Eine parteipolitische Seite, wie Ihre Frage zu unterstellen scheint, hat das nicht. Und an meiner sehr artikulierten Kritik an der polnischen Regierung zu zahlreichen anderen Themen hat sich auch nichts geändert. Wenn es um meine parteipolitische Solidarität ginge, richtete die sich in erster Linie an die polnischen Grünen, und in zweiter Linie an die neue Partei von Robert Biedron.

Ihr Parteikollege Winfried Kretschmann hat kürzlich ein Treffen mit dem ungarischen Außenminister wegen der derzeitigen Kampagne der Regierung in Budapest gegen Soros und Juncker abgesagt. Sind Politiker der Pis, die als Gesprächspartner der Grünen gesehen werden, anders zu bewerten als Vertreter der ungarischen Fidesz?

Ich hätte an Kretschmanns Stelle wahrscheinlich wie er gehandelt. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass aus einer solchen richtigen Grenzziehung folge, man dürfe sich in Zukunft mit Politikern, die der ungarischen, polnischen, tschechischen, slowakischen, rumänischen, österreichischen oder italienischen Regierung nahe stehen, gar nicht mehr treffen.

Ich würde mich zum Beispiel nicht mit dem polnischen Justizminister Ziobro treffen, kurz nachdem er öffentlich erklärt hat, seine Regierung solle sich nicht an Entscheidungen des EuGH halten. Aber mit dem polnischen Europaminister, der nicht zu den konservativen Revolutionären in der PiS gehört, habe ich mehrfach gesprochen und werde das auch weiter tun.

Warum ist ein Pis-Politiker wie Professor Zdzisław Krasnodębski der richtige Ansprechpartner für die Grünen, wenn es um die Energiepolitik geht und in der Böll-Stiftung diskutiert wird, und nicht etwa die liberale Opposition, die sich nun gegen die polnische Regierung zusammengeschlossen hat?

Professor Krasnodebski sitzt im selben ITRE-Ausschuss des Europäischen Parlaments wie ich. Dort sind wir über Energiepolitik meistens verschiedener Meinung. Bei Nord Stream 2 eher nicht. Meine Ansprechpartner für Energiepolitik in Polen waren in der Vergangenheit vor allem der ITRE-Ausschussvorsitzende Buzek von der PO, die Energieexperten der polnischen Zieloni und unabhängige Experten aus dem NGO-Bereich beziehungsweise aus der Wirtschaft.

In der polnischen Oppositionsallianz, die sich für die Europawahl gebildet hat, sind übrigens nicht nur Liberale zu finden, sondern auch die Bauernpartei, die postkommunistischen Sozialdemokraten und die Grünen. Soweit ich sehe, spielen dort in der Energiepolitik insbesondere die Grünen eine wichtige Rolle.

Auch die Positionierung von Robert Biedron zu einem Kohleausstieg in Polen bis 2035 hat meine Unterstützung. Zu diesen Themen komme ich mit Professor Krasnodebski nicht auf einen grünen Zweig, mit dem ich mich übrigens gerade auch über den Europäischen Verteidigungsfonds heftig streite. Aber immer zu, stecken Sie uns in einen Sack und tun Sie so, als wäre das nicht Propaganda, sondern Analyse.

Letztgenannter lehrt als Professor an der Universität Bremen Soziologie und gilt als intellektueller Vordenker der nationalkonservativen polnischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Krasnodębski war ein Berater des Parteichefs und ehemaligen polnischen Ministerpräsidenten Jarosław Kaczyński. Er sitzt für die PiS im Europaparlament und ist dort einer der stellvertretenden Vizepräsidenten. Die PiS steht politisch sehr weit rechts. Im November hatten Politiker der Partei den 100. Jahrestag der Staatsgründung zusammen mit neofaschistischen Gruppen und in nationalistischer Rhetorik gefeiert. Nach Angaben von Nachrichtenagenturen waren beim Aufmarsch Rufe wie »Polen, weiß und katholisch« zu hören.

Auch Krasnodębski präsentiert sich als Nationalist. Er hatte vergangenes Jahr in einem Interview mit dem Magazin »Cicero« seine Sorge über die »ethnische Zusammensetzung unserer Gesellschaft« geäußert. Mit Blick auf die Migrationspolitik der EU sagte er: »Es ist in keinem Vertrag festgeschrieben, dass wir als Mitglied der EU multikulturell werden müssen.«

Die Grünen verfolgen im Umgang mit der PiS eine Doppelstrategie. Zwar kritisieren sie autoritäre Politik und Demokratieabbau, weil die PiS immer stärkeren Einfluss auf Medien und Justiz ausübt. Seit 2017 läuft ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren der EU-Kommission gegen Polen. Aber die Grünen betonen zugleich, den Dialog mit Warschau fördern zu wollen. Dazu zählen offensichtlich auch Gespräche mit Politikern der Regierungspartei.

Ein Grund hierfür ist, dass Grüne und PiS zum Projekt Nord Stream 2, dem Bau weiterer Röhren zum Transport russischen Erdgases durch die Ostsee nach Deutschland, ähnliche Meinungen haben. Führende Politiker der Grünen lehnen das Projekt nicht nur wegen Umweltbedenken ab. Ebenso wichtig ist für sie die geopolitische Bedeutung der Pipeline.

Bütikofer hatte einmal dem »Tagesspiegel« gesagt, dass das Projekt »das deutsch-polnische Verhältnis schwer belasten und die EU-Solidarität beschädigen« würde. Auch die baltischen Staaten sowie die Ukraine sah Bütikofer durch Nord Stream 2 in ihrer wirtschaftlichen Stabilität gefährdet. Er macht sich die Haltung osteuropäischer Regierungen zu eigen, die meinen, dass Russland durch den Bau von Nord Stream 2 auf die Nutzung bisheriger Gasleitungen durch die Ukraine und Polen ganz oder zu großen Teilen verzichten könnte. Insbesondere die Ukraine sei aber auf die Durchleitgebühren angewiesen. Somit hätte Moskau ein Druckmittel in der Hand.

Bütikofer ist mit seiner Meinung bei den Grünen nicht alleine. Ein gemeinsamer Text zu Nord Stream 2 in der »FAZ« mit Politikern von Union und FDP wurde auch von Fraktionsvize Oliver Krischer unterschrieben. Parteichef Robert Habeck fordert seit 2016 einen Stopp der Pipeline und Ko-Chefin Annalena Baerbock sprach kürzlich davon, dass »Europa in die Abhängigkeit des kremlnahen Gazprom-Konzerns zu geraten« drohe.

Politiker der Grünen meinen, dass Russland seine Nachbarstaaten mithilfe der Energiepolitik destabilisieren will. Somit werden Konflikte in Osteuropa auf die simple Formel gebracht, dass Moskau der Aggressor sei. Auf der Basis einseitiger Schuldzuweisungen sind diplomatische Lösungen nicht mehr denkbar.

Das Thema ist bei den Grünen umstritten. Der frühere Umweltminister Jürgen Trittin hatte kürzlich gegenüber Spiegel Online erklärt, dass das Argument, man würde sich von den Russen abhängig machen, falsch sei. »Pipelinegas führt zu einer gegenseitigen Abhängigkeit, weil die Bindung zwischen Produzent und Konsument groß ist«, sagte Trittin.

In den Räumen der Böll-Stiftung wird man andere Töne hören. Bütikofer will dort unter anderem mit Krasnodębski darüber diskutieren, was der kürzlich gefundene EU-Kompromiss bedeutet, der unter anderem die Monopolstellung von Drittanbietern von außerhalb der EU, etwa dem russischen Konzern Gazprom, abschwächen soll. Nach dieser Einigung darf Gazprom nicht mehr sowohl das Gas liefern als auch die Pipeline betreiben. Allerdings wird die Praxis zeigen, wie diese Richtlinie im konkreten Fall angewandt wird.

Eine nd-Anfrage an Bütikofer, warum er mit Krasnodębski und nicht mit einem Politiker der liberalen polnischen Opposition auftrete, konnte der frühere Grünen-Chef nicht schlüssig beantworten. Zu Nord Stream 2 gebe es nach seiner Kenntnis zwischen den Parteien in Polen eine große Übereinstimmung, den Bau abzulehnen. Bütikofer wies darauf hin, dass seine bisherigen Ansprechpartner zur Energiepolitik in Polen Vertreter der liberalen Bürgerplattform, der Grünen und »unabhängige Experten aus dem NGO-Bereich beziehungsweise aus der Wirtschaft« seien. »Professor Krasnodębski sitzt im selben ITRE-Ausschuss des Europäischen Parlaments wie ich. Dort sind wir über Energiepolitik meistens verschiedener Meinung. Bei Nord Stream 2 eher nicht«, so Bütikofer. Die Diskussionsrunde mit dem rechten Politiker der PiS scheint für den Grünen heikel zu sein. »Aber immer zu. Stecken Sie uns in einen Sack und tun Sie so, als wäre das nicht Propaganda, sondern Analyse«, schrieb er dem »nd«.

Krasnodębski hatte vor zweieinhalb Jahren in einem polnischen Medieninterview gesagt, dass die polnischen Nationalkonservativen in Deutschland keine dauerhaften Verbündeten hätten, »mit denen wir auf breiter Front zusammenarbeiten könnten«. Möglich seien umstandsbedingte, taktische Zweckbündnisse. »Mit den Grünen in der Russlandpolitik, mit den Liberalen in der Europapolitik«, so Krasnodębski.

Eine Anfrage des »nd« bei der Grünen Jugend, welche Haltung sie zu der Veranstaltung bei der Böll-Stiftung einnimmt, blieb bis Freitagnachmittag unbeantwortet.

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