Weitere Abschiebungen nach Afghanistan geplant

Sächsischer Flüchtlingsrat warnt vor Sammelrückführung im Juli

  • Yaro Allisat
  • Lesedauer: 4 Min.
Sammelabschiebungen gab es bereits in der Vergangenheit, für das weitere Schicksal der jungen Männer interessiert sich Deutschland nicht.
Sammelabschiebungen gab es bereits in der Vergangenheit, für das weitere Schicksal der jungen Männer interessiert sich Deutschland nicht.

Deutschland will erneut Menschen in das von den Taliban regierte Afganistan abschieben. Betroffen sind junge alleinstehende Männer, deren Asylantrag in Deutschland abgelehnt wurde und die wegen schwerer Straftaten verurteilt sind. Laut aktuellen Plänen der Behörden sollen die Männer in einer Sammelabschiebung bis zum 16. Juli abgeschoben werden, heißt es in einer Mitteilung des Sächsischen Flüchtlingsrats (SFR). Überall in Deutschland sitzen diese Männer derzeit in Abschiebehaft, unter anderem in Dresden, Pforzheim und Büren.

Der SFR kritisiert, dass es sich bei der Abschiebung um eine viel härtere, »zweite Strafe« handelt, insbesondere wenn die Betroffenen bereits eine Haftstrafe verbüßt haben. Diese Art der Doppelbestrafung widerspreche dem Grundgesetz. Die Organisation der Abschiebung scheint aufwendig und die Geheimhaltung hoch, heißt es vom SFR. Selbst Gerichte hätten offenbar keine Informationen zum Ablauf der Abschiebung. »Wie sollen sie prüfen, ob die Abschiebung durchführbar ist, wenn sie keine Auskünfte bekommen?«, kritisiert Toni Kreischen von der Abschiebehaftkontaktgruppe Dresden, die ehrenamtlich Personen in Abschiebegefängnissen berät.

Der SFR befürchtet zudem, dass durch vermehrte Abschiebungen nach Afghanistan in Zukunft auch Menschen betroffen sein könnten, die der Verfolgung durch die Taliban mit Sicherheit ausgesetzt wären. »Wir erinnern uns an die Abschiebungen nach Kabul vor einigen Jahren: Zuerst traf es nur Straftäter, doch am Ende mussten alle abgelehnten Afghan*innen mit einer Abschiebung in den Krieg fürchten«, so Dave Schmidtke vom SFR.

Bereits im vergangenen Jahr hatte es zwei Sammelabschiebungen nach Afghanistan gegeben. Drei der aktuell Betroffenen sind im Abschiebegefängnis in Dresden inhaftiert. Laut SFR lebten alle drei seit über zehn Jahren in Deutschland. Ihre Asylanträge seien noch vor der Machtübernahme der Taliban abgelehnt worden. Sie gehören zum Teil zur verfolgten Minderheit der Hazara und fürchten Verfolgung als Oppositionelle, »verwestlichte« Rückkehrer oder Taliban-Kritiker. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) fordert seit seinem Amtsantritt mehr Abschiebungen nach Afghanistan. Dieses Ziel ist auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung von SPD und CDU/CSU festgehalten.

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Aufnahmeprogramme müssen erfüllt werden

Dobrindt will zudem die Bundesaufnahmeprogramme für gefährdete Afghan*innen aussetzen. Ein Gerichtsurteil des Verwaltungsgerichts Berlin stellte jedoch kürzlich fest, dass Deutschland sich zumindest an bereits gemachte Aufnahmezusagen halten müsse. Einem juristischen Gutachten zufolge, in Auftrag gegeben von Pro Asyl, mache sich die Bundesregierung sogar straffällig, sollten bedrohte Personen, viele von ihnen harren aktuell in Pakistan aus, wieder in die Hände der Taliban gegeben werden.

Auf Abschiebungen aus Deutschland heraus haben das Urteil wie auch das Gutachten jedoch keine Wirkung, da grundsätzlich andere Personen betroffen sind, geht doch der deutsche Staat mit Ablehnung des Asylantrags der Betroffenen davon aus, sie seien in Afghanistan keinerlei Verfolgung ausgesetzt. Frauen und LGTBQI+ Personen erhalten hingegen aufgrund der geschlechtsspezifischen Verfolgung durch die Taliban oft einen Schutzstatus.

Anstieg von Ablehnungen

Demgegenüber ist in den vergangenen Monaten ein massiver Anstieg der negativen Asylentscheide für männliche Afghanen zu beobachten. Seit der Machtübernahme der Taliban hatten die meisten Asylantragsteller zumindest aufgrund der wirtschaftlich instabilen Situation Afghanistans ein sogenanntes Abschiebeverbot erhalten, da es laut des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) auch für junge alleinstehende Männer nicht möglich sei, die eigene Existenzgrundlage in Afghanistan zu sichern. Aktuell lässt sich jedoch eine Anwendung der sogenannten Robustheitsrechtsprechung beobachten, die vor 2021 sowohl das Bamf als auch Gerichte verfolgt hatten und die die absurde Vorstellung vertritt, man könne in Deutschland straffällig gewordene Afghanen abschieben, weil sie doch »robust« genug seien, unter den Taliban zu leben, wenn sie hier in Deutschland Straftaten begehen könnten. Ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Sachsen hatte 2023 hingegen anerkannt, dass alleinstehende Männer ohne Unterstützungsnetzwerk in Afghanistan einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein können, was Grundlage für ein Abschiebungsverbot wäre.

Wie es für die in Dresden inhaftierten Männer nun weitergeht, ist aktuell noch unklar. »Aus unserer Sicht verstoßen die Abschiebungen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Wir haben daher neue Asylanträge gestellt«, so eine Beraterin der Abschiebehaftkontaktgruppe in einer Mitteilung.

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