Sozialverbände fordern rasche Wahlrechtsänderung

SPD und Union ringen nach Urteil aus Karlsruhe um Neuregelung zugunsten von kranken und behinderten Menschen

  • Dirk Baas
  • Lesedauer: 3 Min.

Psychisch kranke und behinderte Menschen unter Betreuung dürfen nicht pauschal von Wahlen ausgeschlossen werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht im Februar entschieden. Die Politik steht damit unter Zugzwang, das Bundes- und das Europawahlgesetz müssen geändert werden. Doch SPD und Union werden sich nicht einig.

Dabei drängt die Zeit: Europawahlen sind schon am 26. Mai. »Bisher sind wir noch nicht zu einer gemeinsamen Formulierung gekommen. Wann der Entwurf vorgelegt werden wird, kann noch nicht gesagt werden«, berichtet Wilfried Oellers (CDU), der Behindertenbeauftragte der CDU/CSU-Fraktion. »Wir arbeiten jedenfalls mit Hochdruck daran.« Aus Zeitgründen werde es schwierig, den Mai-Wahltermin zu schaffen. Hinzu kämen rechtliche Hürden: »Weil die Vorwahlen in den Parteien zur Europawahl bereits stattgefunden haben, ist es noch schwieriger, Änderungen vor einer Wahl vorzunehmen.«

Offiziellen Zahlen zufolge gibt es rund 81 000 Behinderte, für die ein gesetzlicher Betreuer zur Regelung all ihrer Angelegenheiten bestellt ist. Die bestehenden Regelungen sehen den Wahlrechtsausschluss für psychisch kranke und behinderte Menschen vor, für die dauerhaft ein Berufsbetreuer in allen Angelegenheiten bestellt wurde. Außerdem sind schuldunfähige, im Maßregelvollzug untergebrachte Straftäter von allen Wahlen ausgeschlossen.

Sozial- und Behindertenverbände appellieren an die Bundesregierung, Menschen mit Handicap die Stimmabgabe schon bei der Wahl des EU-Parlamentes zu ermöglichen. Auch der Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe, Martin Danner, drängt: Vor der Wahl müssten »alle Informationsmaterialien, Webseiten, Social-Media-Kanäle, Informationen in Funk und Fernsehen sowie natürlich Wahllokale barrierefrei zugänglich sein«. Die Regierung müsse »eine vollständige Teilhabe an den Europawahlen garantieren«. Es sei »bedenklich, wie wenig davon bisher umgesetzt worden ist«, kritisierte Danner.

SPD und Union waren schon mal weiter. Sie hatten bereits einen gemeinsamen Gesetzentwurf zur Änderung des Paragrafen 13 des Bundeswahlgesetzes vorbereitet, der nach Angaben der Sozialdemokraten die ersatzlose Streichung sämtlicher Wahlrechtsausschlüsse vorsah. Doch dann habe es Bedenken seitens der neuen Unionsfraktionsführung gegeben, sagte ein Sprecher.

Die Christdemokraten wollen die Wahlfähigkeit Behinderter im Einzelfall prüfen lassen »Die Regelung soll so aussehen, dass grundsätzlich jeder erst einmal das Wahlrecht hat«, erläutert Wilfried Oellers. In Ausnahmefällen solle aber eine Überprüfung durch das Betreuungsgericht erfolgen. Das jedoch nur, wenn es konkrete Umstände gibt, die vermuten lassen, dass Betroffene eine Wahl selbst mit Assistenzmitteln nicht vollziehen können. »Es geht zum einen darum, eine selbstbestimmte Wahl zu gewährleisten. Zum anderen geht es auch darum, Missbrauch zu vermeiden«, so Oellers.

Die Opposition war am 20. Februar mit eigenen Gesetzentwürfen im Innenausschuss an der Koalition gescheitert. Nach den Vorlagen von FDP, Linkspartei und Grünen sollten alle Wahlrechtsausschlüsse fallen. Corinna Rüffer, behindertenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, warf Union und SPD anschließend vor, nicht bereit zu sein, ein inklusives Wahlrecht zu schaffen. Sie warnte vor der von der Union ins Gespräch gebrachten Überlegung, die Wahlfähigkeit in jedem Einzelfall zu überprüfen. »Das könnte sogar dazu führen, dass noch mehr Personen vom Wahlrecht ausgeschlossen werden.«

Auch Jürgen Dusel, Behindertenbeauftragter der Bundesregierung, erwartet insbesondere von der CDU/CSU-Fraktion, »ihre zögerliche Haltung aufzugeben«. Auch die Regelungen für schuldunfähige Straftäter in psychiatrischen Krankenhäusern müssten gestrichen werden. Dusel: »Bei der anstehenden Europawahl darf es diese Wahlausschlüsse nicht mehr geben.« epd/nd

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