Die wahren Verbrecher im Braunkohletagebau

Nach umstrittenem Einsatz gegen Umweltaktivisten stellt sich der Innenminister vor seine Polizei

Die Vorwürfe wiegen schwer. Am 4. Februar 2019 hatten zehn Umweltaktivisten einen Bagger im Braunkohletagebau Welzow-Süd besetzt. Als sie von Spezialkräften gegen 16 Uhr heruntergeholt waren, sollen sie von der Polizei schlecht behandelt worden sein. Ebenso soll es am selben Tage 13 Besetzern eines Baggers im Tagebau Jänschwalde ergangen sein, die um 20.40 Uhr freiwillig herunterkamen.

Den Aktivisten sei verweigert worden, ihre Notdurft zu verrichten oder sich aufzuwärmen. Sie sollen kein Wasser zu trinken bekommen haben, aber bis zu fünf Stunden lang mit den Händen auf dem Rücken gefesselt gewesen sein – allerdings beim Transport ins Gefängnis nicht angeschnallt, so dass sie bei ruppiger Fahrweise hin- und hergeschleudert wurden. Damit nicht genug, sollen Polizisten homophobe Bemerkungen gemacht haben und den Aktivisten spöttisch bedeutet haben, wenn sie frieren, so seien sie selbst schuld. Mehrfache schikanöse Leibeisvisitationen sollen vorgenommen worden sein, bei denen peinlich im Intimbereich und im Anus nachgeschaut wurde. Außerdem sollen die Festgenommenen durch die Gegend geschleift worden sein. Im Innenausschuss des brandenburgischen Landtags fragten die Abgeordneten Klara Geywitz (SPD) und Ursula Nonnemacher (Grüne) sowie Thomas Domres und Hans-Jürgen Scharfenberg (LINKE) am Donnerstagabend kritisch nach.

Doch an Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) und an seinem Referatsleiter Jan Müller tropfte alles ab. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand seien die Einsätze »nicht zu beanstanden«, den Beamten sei kein Vorwurf zu machen, erklärte der uniformierte Referatsleiter Müller. Vor Ort habe es keine Möglichkeit zur Verpflegung gegeben. Später im Gewahrsam seien bei der Verköstigung sogar Sonderwünsche wie vegetarische, vegane und glutenfreie Kost berücksichtigt worden. Die Durchsuchungen seien rechtens gewesen, streng nach der Polizeigewahrsamsordnung, wonach die Leibesvisitation »gründlich« zu erfolgen habe. Dies sei, das dürfe man glauben, für beide Seiten »nicht immer angenehm«, gestand Müller.

Für »merkwürdig« und »nicht angemessen« hielt die Abgeordnete Nonnemacher die Beschwichtigungen angesichts der Fülle detaillierter Vorwürfe. Auch der Abgeordnete Domres gab sich nicht so schnell zufrieden und hakte nach. Niemand sei verletzt worden, was durch Fotos dokumentiert sei, versicherte jedoch Innenminister Schröter. Er betonte, dass bis heute keine Strafanzeigen oder Dienstaufsichtsbeschwerden gegen die am Einsatz beteiligten Polizisten vorliegen. Solange die Anwürfe nicht belegt seien, handele es sich um »unbewiesene Behauptungen«. Schröter bat ein wenig pikiert um Verständnis, dass er sich vor seine Leute stelle, solange ihnen ein Fehlverhalten nicht nachgewiesen sei. Mit Blick auf das schwere Gelände im Tagebau sagte Schröter, ein Toilettenwagen sei dort nicht einfach hinzuschaffen gewesen. »Wenn uns die Kollegen von ›Ende Gelände‹ das nächste Mal rechtzeitig Bescheid geben, dass sie etwas planen«, dann ließe sich etwas vorbereiten, bemerkte der Innenminister süffisant.

»Das wahre Verbrechen ist, dass im SPD-regierten Brandenburg noch immer Kohle abgebaggert wird«, schimpfte Tessa Galetti, Pressesprecherin des Anti-Kohle-Bündnisses »Ende Gelände«. Dies geschehe, obwohl »alle wissen, dass damit unsere Zukunft zerstört und das Dorf Proschim bedroht wird«. Anstatt dieses Verbrechen zu stoppen, schlage sich die SPD auf die Seite der Lausitzer Energie AG. Mit menschenrechtswidrigen Polizeimaßnahmen solle legitimer Protest für Klimagerechtigkeit kriminalisiert werden. »Aber wir lassen uns nicht einschüchtern.«

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