Den Heringen wird’s zu warm

In der Ostsee hat der Klimawandel für die Fischer bereits erhebliche Konsequenzen.

  • Thomas Isenburg
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein funktionierendes, vielfältiges Ökosystem ist für die Produktion unserer Lebensmittel unabdingbar. Doch im vergangenen Jahrzehnt häuften sich wissenschaftlichen Erkenntnisse über mehr oder weniger gravierende Veränderungen der biologischen Lebensräume, nicht wenige mit negativen wirtschaftlichen Auswirkungen. So machte der Sommer 2018 nicht nur den deutschen Landwirten schwer zu schaffen, sondern auch den Heringsfischern in der westlichen Ostsee. Wenn sich unsere Meere erwärmen, können viele Fische ihren Lebensraum in Richtung der Pole verlagern. Dort finden sie dann bei niedrigeren Wassertemperaturen eine Umgebung, die ihren Ansprüchen genügt.

Was aber, wenn diese Wege geografisch versperrt sind, wie etwa im Greifswalder Bodden? Dieser Teil der Ostsee ist umgeben von der Insel Rügen im Norden und dem vorpommerschen Festland im Westen und Süden. Im Osten trennt die nur etwa 1,5 bis 2,5 Meter unter dem Meeresspiegel liegende Boddenrandschwelle mit den kleinen Inseln Ruden und Greifswalder Oie den Bodden von der offenen Ostsee. Südlich befindet sich die Insel Usedom.

In diesem Revier herrschen ideale Lebensbedingungen für Heringslarven, denn das Wasser ist flach. Der Boden ist die Kinderstube für etwa 80 Prozent des westlichen Heringsbestands in der Ostsee. Zur Eiablage kommen diese Heringe zwischen Februar und April in den Greifswalder Bodden. Fischereiwissenschaftler Christopher Zimmermann vom Thünen-Institut für Ostseefischerei: »Der Hering findet im Greifswalder Bodden ideale Laichbedingungen.«

Steigende Meerestemperaturen verändern allerdings die Lebensbedingungen der Meeresbewohner in dieser Region. Wissenschaftler des Thünen-Instituts zählen im Laichzeitraum von Mitte März bis Ende Juli die Heringslarven. Das alarmierende Ergebnis: Seit 2004 lässt die Nachwuchsproduktion in dieser Ostsee-Region immer weiter nach. »Die bislang schlechtesten Jahrgänge waren 2016 und 2017, das setzt sich 2018 fort«, konstatiert Zimmermann.

Natürlich sucht man im Institut nach Ursachen für diese bedrohliche Entwicklung. Eine mögliche Erklärung für den Rückgang bei den Heringslarven wurde in veränderten Winden vermutet, die zum Abdriften der Heringe führten. Jedoch entkräftete eine am Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde entstandene Masterarbeit diese Vermutung. Eine weitere Überlegung zielte auf eine Abnahme der Menge an Großalgen und Seegräsern, an die erwachsene Heringe ihre Eier ankleben. Auch dieser Ansatz hielt der Überprüfung nicht stand.

Ein Schlüssel zur Lösung der kniffligen Aufgabe sei die Temperatur, ermittelten die Wissenschaftler des Thünen-Instituts. Deren Zunahme zu bestimmten Zeiten könne den Rückgang der Nachwuchsproduktion des Herings in der westlichen Ostsee am besten erklären. Das ist der signifikante Unterschied zu den anderen Heringsbeständen in der Ostsee, denen es bislang noch gut geht.

Im Laichgebiet Greifswalder Bodden haben sich die Temperaturen in den letzten 30 Jahren um bis zu 2,5 Grad Celsius erhöht. Dabei blieb die Durchschnittstemperatur der westlichen Ostsee konstant. Jedoch bekommen die Heringe durch die Temperaturerhöhung etliche Tage früher das Signal zur Wanderung in ihr Laichgebiet. Bei höherer Temperatur entwickeln sich die abgelegten Eier zudem schneller. Deswegen treten die hungrigen Heringslarven etwa zehn Tage früher in dem betrachtetem Gebiet auf. In dieser Phase fressen die Heringslarven Krebslarven. Die Krebse wiederum legen nur dann Eier, wenn genügend einzellige Algen (Phytoplankton) vorhanden sind.

Das Algenwachstum hängt jedoch vom Sonnenstand ab. Und der blieb, anders als die Wassertemperatur, unverändert. Die Algen vermehren sich also immer noch zum selben Zeitpunkt. Zimmermann erläutert: »Durch die Temperaturverschiebung verschiebt sich das Nahrungsangebot für die Heringslarven und sie bekommen nicht zum richtigen Zeitpunkt das, was sie benötigen. Die Nahrung für die Krebslarven tritt immer noch zum gleichen Zeitpunkt auf, weil sie lichtgesteuert ist.« Aber die Heringslarven seien zu früh dran, erklärt der Ostsee-Experte weiter. Zimmermann sieht hier ein ähnliches Phänomen wie es bereits bei brütenden Zugvögeln beobachtet wurde. Im Meer sind diese Phänomene nur schwieriger nachzuweisen, weil es größere ausgleichende Kapazitäten gibt.

Für die Fischer führt das zu einem massiven Verdienstausfall, denn sie können in der Region nur noch die Hälfte an Fisch aus dem Meer entnehmen. Waren es vor 30 Jahren noch 25 000 Tonnen, dann sind es heute nur 12 500. Bei einem Preis von 0,44 Euro für ein Kilo Hering kann man leicht den Verlust ermitteln.

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