Alle gegen May

Großdemonstration für zweite Brexit-Abstimmung

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Riesendemo am Samstag, Putsch-Gerüchte am Sonntag: Großbritanniens Chaoswochen gehen weiter. Am Samstagnachmittag schlossen sich mehr als eine Million Briten aus jeder Ecke des Landes einem Protestmarsch gegen den nahenden Brexit an und verlangten eine zweite Volksabstimmung. Dazu unterschrieben fast fünf Millionen eine Online-Petition, die Parlament und Regierung auffordert, das Austrittsersuchen unter Artikel 50 des EU-Vertrags zurückzunehmen. Eine Gegenpetition für den ungeordneten Brexit erreichte weniger als ein Zehntel dieser Zahl. Nigel Farages Pro-Brexit-Marsch von Nordostengland mobilisierte ganze 150 Seelen.

Teilnehmer*innen der Londoner Großdemo ließen Regierungsdrohungen, ein weiteres Referendum würde den Volkswillen von 2016 verfälschen, nicht gelten. Damals wurden wir angelogen, hieß es bei den Marschierenden, oder »Niemand hat gewusst, wie schlecht die Austrittsbedingungen ausfallen würden.« Pappgesichter von Theresa May mit langer Pinocchio-Nase wechselten sich ab mit Plakaten wie »Fromage statt Farage« oder »Theresa, für uns sprichst du nicht!«

Ein Slogan, den Labours stellvertretender Vorsitzender Tom Watson beifällig wiederholte. Die Partei ist nach Watson bereit, Mays mit der EU ausgehandelten Deal zur parlamentarischen Mehrheit zu verhelfen, um einen Chaos-Brexit zu vermeiden, aber nur unter der Bedingung einer zweiten Volksabstimmung, die den Rücktritt vom Brexit ermöglichen soll. Die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon monierte, May habe sich unfähig erwiesen, den Versprechungen der Brexiteers vom reibungslosen Austritt gerecht zu werden.

Nach Umfragen würden bei einer erneuten Brexit-Abstimmung eine Mehrheit der Briten für den Verbleib in der EU stimmen. Gerade deswegen pochen Brexiteers auf die Entscheidung von 2016. Dass inzwischen Hunderttausende Jugendliche das Wahlalter erreicht haben und Ältere, in ihrer Mehrheit Brexit-Wähler, verstorben sind, wird rechts ignoriert; es regiert rechter Dogmatismus mit »Maybot« als deren Geisel: Die Premierministerin May, die die Brexiteers mit roboterhaften Parolen unterstützt. Denn sie versucht, ihren zerstrittenen konservativen Haufen krampfhaft zusammenzuhalten, anstatt eine parlamentarische Einigung mit den Oppositionsparteien anzustreben. Ideen dazu gäbe es, etwa einen Deal gegen ein Zweitreferendum oder die »Norwegen-Lösung«, also britische Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum und Zollunion mit den EU-27, wie von Labour-Chef Jeremy Corbyn vorgeschlagen. Das Gerücht geht um, May würde es in dieser Woche nicht einmal wagen, ihren Deal einer dritten krachenden Unterhausniederlage auszusetzen.

Trotz dem Millionenmarsch und dem einmaligen Erfolg der Petition gegen die Austrittsklausel zeigt sich wieder einmal die Wahrheit des alten Spruches: Niemand ist so taub wie diejenigen, die nicht hören wollen. In der britischen Regierung wächst Presseberichten zufolge der Druck auf Premierministerin Theresa May, wegen des festgefahrenen Streits über den Brexit-Kurs zurückzutreten. Und am Sonntag berichtete die »Sunday Times« sogar, May sei »einem ausgewachsenen Kabinettscoup ausgeliefert«. Elf Minister hätten bestätigt, dass sie wollen, dass die Premierministerin Platz für jemand anderes macht. Am Montag soll May in der Kabinettssitzung damit konfrontiert werden. Die Chaoswochen, sie gehen weiter.

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