Algeriens Präsident tritt zurück

Die Straße feiert: Nach wochenlangen Massenprotesten hat das 82-jährige Staatsoberhaupt sein Amt abgegeben

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Algier. Nach wochenlangen Massenprotesten ist Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika mit sofortiger Wirkung zurückgetreten. Der 82-jährige Staatschef habe dem Verfassungsrat mitgeteilt, dass er »am heutigen Tag« sein Amt niederlege, meldete das Staatsfernsehen am Dienstagabend. Zuvor hatte auch das Militär massiv auf ein Ende der 20-jährigen Amtszeit Bouteflikas gedrängt. Die Verfassung sieht vor, dass nun der Vorsitzende des Oberhauses des Parlaments vorläufig die Amtsgeschäfte übernimmt.

Auch die staatliche Nachrichtenagentur APS meldete den Rückzug des seit 1999 amtierenden Präsidenten. Dieser habe den Verfassungsrat in einem Schreiben über seine Entscheidung unterrichtet und den Schritt mit Verweis auf die jüngsten Unruhen in Algerien begründet. Mit seinem Rückzug wolle er zur »Befriedung der Herzen und Gemüter« seiner Landsleute beitragen, schrieb Bouteflika demnach.

In der Hauptstadt Algier ertönten nach der Ankündigung Autohupen. Hunderte Menschen gingen spontan auf die Straße und feierten mit Algerien-Fahnen den Rücktritt des zuletzt stark in die Defensive geratenen Präsidenten.

Zuvor hatte Armeechef und Vize-Verteidigungsminister Ahmed Gaid Salah einen »unverzüglichen« Beginn des in der Verfassung vorgesehenen Amtsenthebungsverfahrens gegen Bouteflika gefordert. Salah war lange Jahre ein enger Verbündeter des Staatschefs.

Seit Wochen protestierten Hunderttausende Menschen im ganzen Land gegen den 82-jährigen Präsidenten und dessen Machtelite. Zunächst hatte Bouteflika darauf reagiert und Reformen angekündigt, gleichzeitig aber auch die für Mitte April angesetzte Präsidentschaftswahl verschoben und seine Amtszeit damit auf unbestimmte Zeit verlängert. Auch dagegen hatte es Proteste gegeben.

Der Präsident des Oberhauses, der laut algerischer Verfassung nun interimsmäßig das Amt des Staatsoberhauptes übernehmen muss, ist Abdelkader Bensalah, ein alter Weggefährte Bouteflikas. Der 77-jährige ist seit 17 Jahren im Amt. Binnen 90 Tagen muss ein neuer Präsident gewählt werden. Eine offizielle Erklärung seitens der algerischen Staatsorgane gab es zunächst nicht.

Auch aus europäischer Sicht ist der Machtkampf in Algerien wichtig: Mehr als zwölf Prozent der EU-Gasimporte stammen von dort. Allerdings kämpft das Land mit wirtschaftlichen Problemen und leidet unter dem Preisverfall beim Öl. Die Wirtschaft Algeriens ist von Gas- und Ölexporten dominiert. Die Staatsverschuldung liegt nach Angaben der deutschen Wirtschaftsförderungsgesellschaft GTAI bei fast 39 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Arbeitslosenquote gerade bei jungen Hochschulabsolventen ist hoch.

Bouteflika war 1999 als Wunschkandidat des algerischen Militärs zum Präsidenten gewählt worden. In den vergangenen Tagen hatte sich die Militärspitze aber zusehends von dem gesundheitlich angeschlagenen Bouteflika zurückgezogen. Erst kurz vor der Bekanntgabe des Rücktritts hatte Generalstabschef Ahmed Gaid Salah erneut darauf hingewiesen, dass Bouteflika für amtsunfähig erklärt werden müsse. »Wir unterstützen das Volk, bis dessen Forderungen komplett erfüllt sind«, hieß es in einer Erklärung des Verteidigungsministeriums. Militärchef Gaid Salah ist zudem stellvertretender Verteidigungsminister.

Auch mehrere algerische Oppositionsparteien hatten nach einem spontanen Treffen am Dienstag den sofortigen Rücktritt Bouteflikas gefordert. In einer Erklärung teilten die Parteien, zu denen auch die beiden größten islamistischen Parteien zählten, mit, dass sie keine der aktuell getroffenen Entscheidungen der Staatsführung akzeptieren würden. Dazu zähle auch die Einsetzung einer neuen Regierung am Wochenende.

Erst am Sonntag war der 59 Jahre alte Noureddine Bedoui offiziell zum Ministerpräsidenten Algeriens ernannt worden. Bedoui hatte Mitte März eine Regierung aus Technokraten versprochen, in der alle politischen Spektren vertreten sein sollten. Zahlreiche Politiker lehnten aber ab, in die Regierung einzutreten. Die anschließenden Proteste richteten sich auch gegen seine Ernennung zum Regierungschef. nd/Agenturen

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