Arm und ohne Wahl

Arme Menschen gehen selten wählen, ihre Themen finden kaum Niederschlag in der Politik

  • Alina Leimbach
  • Lesedauer: 3 Min.

Derzeit mobilisieren die Parteien wieder zur Europawahl. »Europa ist die Antwort«, oder »Kommt, wir bauen das neue Europa!«. Doch: eine Wähler*innengruppe wird bei dieser Wahl wieder vermehrt Zuhause bleiben: Die der armen oder armutsbedrohten Personen. In einer repräsentativen Studie der Uni Leipzig erklärte sich 2018 mehr als jede*r Dritte von ihnen als Nichtwähler*in. Dieser Wert liegt damit deutlich höher als der Gesamtanteil der Nichtwählenden (24,4 Prozent).

»Das hat Konsequenzen für das, was politisch umgesetzt wird«, warnt der Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der FU Berlin auf dem Armutskongress des Paritätischen Wohlfahrtsverbands am Mittwoch. Denn: Parteien richten ihre Programme und politischen Prioritäten durchaus am Wählerpotenzial aus. Gehen weniger arme Personen wählen, wird es also noch weniger Politik für sie geben als ohnehin schon. Es gibt zudem eine weitere eklatante Schieflage: Bei Gutgestellten mit einem Nettoeinkommen von 2500 Euro aufwärts dreht sich der Trend um. Gerade einmal 3,6 Prozent geben in der Auswertung der Uni Leipzig an, Nichtwähler*in zu sein.

Faas warnt sogar davor, dass sich das Problem weiter verschärfen könnte: »Bei Menschen über 70 sind die sozialstrukturellen Unterschiede in der Wahlbeteiligung vergleichsweise gering, während sich bei Jüngeren eklatante Unterschiede auftun.« In Zahlen ausgedrückt: Gingen bei der Bundestagswahl 2013 weniger als die Hälfte der unter 36-Jährigen mit niedriger Bildung wählen, waren es bei ihren hoch gebildeten Altersgenoss*innen mehr als 90 Prozent. Bei den über 70-Jährigen gingen hingegen auch gering Gebildete zu mehr als 80 Prozent zur Wahl. »Das könnten Indizien sein, dass Prozesse begonnen haben, die uns die nächsten 20 Jahre begleiten werden.«

Den Armutsforscher Christoph Butterwegge, selbst nicht auf dem Kongress dabei, treibt das Thema schon lange um. Er findet: Parteien müssen das Thema wieder auf ihrer Agenda nehmen: »Derzeit gelten 13,7 Millionen Menschen in Deutschland als arm. Das ist eine Wählerklientel, die angesichts unklarer parlamentarischer Mehrheitsverhältnisse durchaus Gewicht haben könnte«, so Butterwegge gegenüber »nd«.

Auch die Politikberaterin Jana Faus von dem Meinungsforschungsinstitut Pollytix stimmt dieser Beobachtung zu. »Selbst wenn arme Menschen derzeit seltener wählen gehen, es lohnt sich für linke Parteien, diese Themen in den Fokus zu nehmen.« Auch die Zahlen sprächen dafür. Alleine 23 Prozent der Bevölkerung würden von einer Besserstellung von armen Menschen direkt profitieren. Zudem gebe es zwei weitere Gruppen, die ihr Meinungsforschungsinstitut identifiziert hat, und die sich »besonders stark« von sozialen Themen angesprochen fühlen. Und das, obwohl sie selbst ökonomisch nicht davon profitierten. Ihre Motivation, so Faus: »Dass sie in einer Gesellschaft leben möchten, in der niemand zurückgelassen wird und alle gleiche Chancen haben.« Diese Gruppen, die »gehetzte Mitte« und die »engagierten Demokraten«, kämen immerhin auf einen Bevölkerungsanteil von 30 Prozent.

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