- Kommentare
- Pro: Enteignen
Schon die Enteignungsdrohung nützt Mietern
Die Sozialisierung von Wohnraum wäre der Weg, um Hunderttausende Wohnungen, von denen viele noch vergleichsweise günstig sind, im leistbaren Segment zu halten
Durch die Sozialisierung großer Immobilienbestände entstehen keine neuen Wohnungen. Das ist das auf den ersten Blick einleuchtende Argument gegen die Ziele des Berliner Volksbegehrens »Deutsche Wohnen & Co enteignen«, das immer wieder vorgetragen wird, wenn die Gegner nicht gerade »Kommunismus« rufen. Das sei etwa so wie die Feststellung, dass das Aufspannen eines Regenschirms bei Regen noch keinen Sonnenschein bewirkt, kontert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, präzise auf Twitter.
Tatsächlich lässt sich die Situation auf dem Mietmarkt eher mit einer Sturzflut vergleichen, die alle, die nicht mithalten können, aus ihren Wohnungen bestenfalls an den Stadtrand oder gleich auf die Straße spült. Die Privatisierungen im großen Maßstab haben die Städte ihrer Handlungsfähigkeit beraubt. Allein in der Hauptstadt fehlen 310.000 leistbare Wohnungen, bundesweit sind es 1,9 Millionen. Diese Zahlen korrespondieren erstaunlich genau damit, wie viele Wohnungen in der Hand kapitalmarktorientierter Großgrundbesitzer sind. Es ist illusorisch zu glauben, dass so viel leistbarer Neubau kurzzeitig möglich ist. Weder von den Baukapazitäten her, noch von den geeigneten Grundstücken, vom Geld ganz zu schweigen. Auch wenn da in Berlin natürlich noch Luft nach oben ist.
Die geforderte Enteignung von Wohnungskonzernen ist kein adäquates Instrument gegen die Mietenexplosion, findet Jérôme Lombard.
Die Sozialisierung wäre der Weg, um Hunderttausende Wohnungen, von denen viele noch vergleichsweise günstig sind, im leistbaren Segment zu halten, und zwar dauerhaft, unabhängig von den absolut unzureichenden Mieterschutzregelungen auf Bundesebene. Und zwar vergleichsweise günstig. Denn der spekulativ hohe Verkehrswert muss nicht gezahlt werden, so viel ist in dem ansonsten noch gar nicht beackerten Rechtsfeld des Sozialisierungsartikels 15 des Grundgesetzes relativ klar. Und je nachdem, wie hoch die Entschädigung ausfallen muss, wäre sogar noch Luft für dauerhafte Mietsenkungen. Das würde nicht nur den Bestandsmietern helfen, sondern auch jenen, die in die Bestände neu einziehen.
So viel Ehrlichkeit gehört dazu: Die Vergesellschaftung wird nicht alle Probleme lösen und schnell wird sie auch nicht kommen können. Für die folgenden Rechtstreitigkeiten kann man gut und gerne ein Jahrzehnt ansetzen. Selbst wenn die Enteignung am Ende nicht kommt, baut sie in der Zwischenzeit als Drohkulisse genug Verhandlungsdruck auf, um schnelle Verbesserungen für die Mieter zu erreichen. Sowohl bei den Mietkonzernen als auch beim viel zu eigentümerfixierten Bund.
Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.