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Gegen die Zukunftsvergessenheit

Schülerstreiks »Fridays for Future« gehen weiter – »Die haben doch Recht, die Kinder!«

  • Manfred Kriener
  • Lesedauer: 4 Min.

Köln, Lüneburg, Mönchengladbach, München, Stuttgart, Wolfsburg… Die Schülerproteste von »Fridays for Future« gehen beharrlich weiter. Der Streit über die regelmäßigen Verletzungen der heiligen Schulpflicht ist bisher längst nicht so hitzig wie es die Dürrewochen im letzten Sommer waren. Im Gegenteil: Den streikenden Schülern fliegen die Herzen zu. Die politischen Parteien laden sie ein, zeigen sich solidarisch, wollen auf den Zug aufspringen. Selbst Bundestagspräsident Schäuble (CDU), konzediert: »Die haben doch Recht, die Schüler!« Da hat er recht, der Schäuble!

Nur noch vereinzelte Kritiker fordern die anschwellende Massenbewegung auf, doch bitteschön am Wochenende zu demonstrieren, wenn ohnehin schulfrei ist. Als wäre nicht gerade die Regelverletzung der entscheidende Punkt. Nur deshalb sind die Schülerproteste überhaupt zur Kenntnis genommen worden. Nur deshalb können sie die Schulbehörden, die Politik und eine auf reibungsloses Funktionieren bedachte Gesellschaft ärgern und zum Klimadialog zwingen. Regelkonforme Protestformen, das belegt eindrucksvoll die Geschichte der Umweltbewegung, haben kaum eine Chance gehört zu werden. Erst recht nicht im heutigen Nachrichtengewitter des Internets und der sozialen Medien.

Einige Schulleiter und Landesministerinnen für Bildung mahnen dennoch die Schulpflicht an und drängen auf Recht und Gesetz. Aber das Recht steckt auf unserem Planeten längst im Schwitzkasten des Klimawandels fest. Das Recht auf Zukunft und ein gutes Leben sind in vielen Weltregionen ernsthaft bedroht. Deshalb haben die Schüler jedes Recht, die Zukunftsvergessenheit der Erwachsenenwelt zu bestreiken. Schul- versus Zukunftspflichten. Natürlich wissen alle, dass unser aktuelles Lebens- und Wirtschaftsmodell inklusive Wachstumszwang nicht zukunftsfähig ist. Auch deshalb reagiert die Öffentlichkeit eher moderat auf die Fridays-for-Future-Aktivisten.

Die Erdüberhitzung ist das globale Jahrhundertthema. Die deutsche und die internationale Politik behandeln sie seit Jahren mit einer kruden Mischung aus Verleugnung, Verdrängung und Verschiebung. Klimapolitik verliert sich zunehmend in Zielen, statt in Maßnahmen. Je weniger getan wird, desto ambitionierter und schärfer werden die Zielvorgaben ausgerufen. Schon für das Einhalten des Zwei-Grad-Ziels fehlte entschlossenes Handeln. Eine Million Elektroautos bis 2020 hatte die Bundesregierung versprochen. Was ist aus dieser Zielmarke geworden? 40 Prozent weniger Emissionen bis 2020. Leider auch gerissen. Hat man die versprochenen Zielmarken bei den Verlusten in der Tier- und Pflanzenwelt eingehalten? Beim Flächenverbrauch. Überall hehre Ziele und viel zu oft kontrolliertes Nichtstun.

Jetzt sind wir beim 1,5 Grad-Ziel angekommen, ohne dass sich das Tempo im Klimaschutz wirklich beschleunigt hätte. Die Ziele sind zum Alibi für echtes Handeln geworden. Um auch nur die 2 Grad einzuhalten, müsste der Ausstoß der Klimagase bis zur Jahrhundertmitte auf Null gesenkt werden. In der rauchgeschwängerten Wirklichkeit bewegen wir uns aktuell eher auf vier als auf 1,5 Grad zu. Ein Grad ist bereits überschritten. Und dennoch hat der globale Ausstoß zuletzt zu- statt abgenommen. Dabei ist die Reduktion der Klimagase auch ein Wettlauf gegen die Zeit. Hier und heute und jetzt, in dem kurzen Zeitfenster bis 2050, bestimmen wir wie die Küstenlinien in 2000 Jahren verlaufen. Es hilft nicht, wenn nur die Richtung stimmt, auch die Geschwindigkeit muss passen.

Während die Meere und großen Eismassen zeitlich verzögert reagieren, sind die Dürren, Stürme und andere Wettextreme, die Korallenbleiche, Biodiversitätsverluste und neuen Krankheiten schon jetzt unterwegs. Die Schülerinnen und Schüler von heute sind die Hauptbetroffenen der Erdüberhitzung von morgen. Sie trifft in ihrem Leben die ganze Wucht der Klimaveränderung. »Denken Sie an Ihre Kinder und Kindeskinder«, hieß die rhetorische Floskel, die früher regelmäßig in den Papieren der Umweltbewegung auftauchte. Jetzt hat diese Floskel einen heißen Realitätsbezug erhalten. Unsere Kinder und deren Kinder und Enkel müssen es tatsächlich ausbaden, während die Älteren in ihren Wohlstandszitadellen noch relativ glimpflich davonkommen.

Die haben doch recht, die Schüler. Ja, das haben sie. Die Klimapolitik hat Ihren unverbrauchten ehrlichen Protest bitter nötig. Auf dem Stundenplan steht die Weltrettung. Das kann dauern. Der Lernerfolg der Erwachsenen ist bekanntlich mangelhaft.

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