Anschläge erschüttern Sri Lanka

Die Dimension des Terrors lässt die Regierung ein internationales Netzwerk als Drahtzieher vermuten

  • Thomas Berger, Jaffna
  • Lesedauer: 5 Min.

Ein wolkenlos blauer Himmel wölbt sich am Montagmorgen über der nördlichen Provinzstadt Jaffna. Es ist der Morgen nach jenem Tag, der sich mit Blut, Zerstörung und Schrecken in die jüngere Geschichte des Inselstaates eingraviert hat. Zwar forderte dereinst der Bürgerkrieg an die 100.000 Todesopfer. Der währte zwischen 1983 und der finalen Offensive der Armee im Mai 2009 gegen die letzten Bastionen der Rebellenbewegung Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE), die damals auch mit terroristischen Mitteln für einen eigenen Tamilenstaat hier im Norden der Insel kämpften. In den zehn Jahren seither war es insgesamt ruhig. Doch nun dies: Ausgerechnet am Ostersonntag zerreißen mehrere Bombenexplosionen den Alltag und die teils feiertägliche Stimmung. Primär betroffen drei Kirchen und drei Nobelhotels, zumeist in der Hauptstadt Colombo.

In Jaffna wie überall im Land ist Montag um sechs Uhr morgens die zwölfstündige Ausgangssperre beendet. Selbst Nachtzüge blieben in den Bahnhöfen, der Busverkehr war eingestellt. Und bereits gegen 17.30 Uhr befand sich am Sonntag in der größten Stadt des Nordens kaum noch jemand auf den Straßen, die Mehrzahl der Geschäfte war bereits verrammelt. Nachmittags, als beispielsweise in der lokalen Kirche Johannes der Täufer noch ein Ostergottesdienst lief, patrouillierten dort mehrere Soldaten zum Schutz der Gläubigen. Uniformierte standen auch am Nallur Kandaswamy Kovil, dem wichtigsten Hindu-Heiligtum der mehrheitlich tamilischen Stadt. Und zumindest für den Großraum Colombo erklärte gegen 13 Uhr Kardinal Malcolm Ranjith, der Erzbischof und ranghöchste katholische Geistliche im Land, alle weiteren Ostermessen für abgesagt.

Chronologie des Terrors in Süd- und Südostasien

Indonesien, 24. Dezember 2000

Auf eine Reihe von Kirchen werden Bombenanschläge verübt. Mindestens 15 Menschen sterben, etwa 100 weitere werden verletzt. Die selbstgebauten Sprengsätze sind als Weihnachtsgeschenke getarnt und nach Informationen der Nichtregierungsorganisation International Crisis Group an mehr als 30 Kirchen oder Priester in elf indonesischen Städten verschickt worden. Als Verantwortliche benennen die Behörden Mitglieder des südostasiatischen Terrornetzwerkes Jemaah Islamiyah mit Verbindungen zu Al-Qaida.

Indonesien, Oktober 2002

Bei Bombenanschlägen auf der Ferieninsel Bali werden 202 Menschen getötet. Bei den Opfern handelt es sich überwiegend um ausländische Touristen, vor allen Australier. Diese Terrorattacken gelten als die schlimmsten, die Indonesien bis dato erlebt hat. Mehrere Mitglieder der Jemaah Islamiyah werden zum Tode verurteilt. Zuvor hatten Regierung und Behörden das Problem muslimischer Extremisten im eigenen Land lange geleugnet.

Indonesien, August 2003

Eine Autobombe wird vor dem JW Marriott-Hotel in der Hauptstadt Jakarta gezündet. Mindestens zwölf Menschen kommen ums Leben, um die 150 weitere werden verletzt. Auch diese Bluttat wird dem Terrornetzwerk Jemaah Islamiyah zugeschrieben.

Indonesien, September 2004

Die Serie von Anschlägen reißt nicht ab: Eine mutmaßlich von einem Selbstmordattentäter gezündete Autobombe vor der australischen Botschaft in Jakarta tötet mindestens zehn Menschen, etwa 160 weitere werden verletzt.

Philippinen, Februar 2004

An Bord des Schiffes »Superferry 14« detoniert kurz nach Auslaufen aus dem Hafen von Manila eine Bombe. Mindestens 116 Menschen werden getötet. Als verantwortlich dafür gilt die Extremistengruppe Abu Sayyaf, die berüchtigt ist für wiederholte Morde, Bombenattentate, Entführungen und Erpressungen. Im Sommer 2014 bekunden Mitglieder der zersplitterten Abu Sayyaf ihre Unterstützung für die arabische Dschihadistenmiliz »Islamischer Staat« (IS).

Indonesien, Oktober 2005

Erneut werden auf der Urlauberinsel Bali Bombenanschläge verübt. Mindestens 22 Menschen sterben, mehr als 100 werden verletzt. Auch diese Attacken werden Terrorristen der Jemaah Islamiyah zugeschrieben.

Indien, November 2008

Eine Anschlagsserie erschüttert die westindische Hafenstadt und Wirtschaftsmetropole Mumbai. Etwa zehn schwer Bewaffnete zünden Granaten und Sprengsätze, erschießen Menschen und nehmen Geiseln. Mindestens 166 Menschen sterben. Anschlagsziele sind zwei Luxushotels, ein Café und ein Bahnhof sowie ein Krankenhaus und eine jüdische Einrichtung.

Pakistan, Ostersonntag 2016

Selbstmordanschlag in Lahore, der zweitgrößten Stadt Pakistans. Mindestens 72 Menschen werden getötet, mehr als 300 weitere verletzt. Die meisten Opfer sind Kinder und Frauen. Obwohl sich die Bluttat gezielt gegen Christen richtet, kommen vor allem Muslime ums Leben. Zu dem Anschlag bekennt sich eine Taliban-Splittergruppe.

Indonesien, Mai 2018

Auf drei christliche Kirchen in Indonesiens zweitgrößter Stadt Surabaya werden während des Sonntagsgottesdienstes Bombenanschläge verübt. Dabei sterben mindestens 13 Menschen, mehr als 40 werden verletzt. Zu den Taten bekennt sich der »Islamische Staat« (IS). Als Selbstmordattentäter benennen Indonesiens Geheimdienst und Ermittler eine Familie mit Verbindung zur lokalen Terrorzelle Jemaah Ansharut Daulah, die ihre Treue zum IS bekundet hat.

Bei einer weiteren Attacke auf die Polizeizentrale in Surabaya am Tag darauf kommen vier der fünf Angreifer um. Dabei soll es sich ebenfalls um eine Familie gehandelt haben. Nicht erst seit den Anschlägen vom Mai 2018 wird in Indonesien zunehmend darüber debattiert, welche Gefahren von lokalen Gruppierungen mit Verbindungen zum IS ausgehen könnten, die auch Kinder als Attentäter missbrauchen.

Philippinen, Januar 2019

Im Süden der Philippinen werden bei zwei Bombenanschlägen auf eine katholische Kirche 20 Menschen getötet. Mindestens 111 weitere werden verletzt. Die Anschläge ereignen sich in der Stadt Jolo auf der gleichnamigen Insel in der Provinz Sulu, nur zwei Tage nach Bekanntgabe der Ergebnisse eines Referendums für eine erweiterte Autonomie der Region. Kurz darauf reklamiert der »Islamische Staat« die Tat für sich. Das meldet die auf Terrorismus-Themen spezialisierte US-Webseite »Site Intelligence Group«. epd/nd

Montagvormittag hat sich in Jaffna wie andernorts das öffentliche Leben zwar normalisiert. Der Verkehr rollt wieder, kleine Menschentrauben stehen vor Läden. Doch beispielsweise ist Facebook immer noch blockiert, WhatsApp funktioniert höchstens eingeschränkt. Mit diesen Maßnahmen will die Regierung die Verbreitung von Falschmeldungen, wilden Spekulationen und Aufstachelung zum Hass über die sozialen Medien eindämmen.

Dafür läuft in vielen Wohnzimmern der Fernseher mit Sondersendungen. »Die Situation ist ziemlich kritisch, aber wir sollten jetzt Ruhe bewahren«, sagt Udhaya, ein Mittdreißiger, der in Sichtweite des großen Tempels im Restaurant Nallur Bhavan als Kellner arbeitet. »Traurig, wirklich traurig ist das. Nach zehn Jahren, die wir auf einem guten Entwicklungsweg waren, gibt es immer noch Menschen, die das Leben nicht respektieren - kleine, radikale Minderheiten, die alles kaputt machen«, ist auch Allen Kathirethanby (63) noch immer entsetzt. Der 63-Jährige hat 25 Jahre in Düsseldorf gelebt, ist erst vor fünf Jahren nach Jaffna heimgekehrt, wo er nun eine Privatunterkunft betreibt.

Noch ist zu den Hintergründen der Tat nichts bekannt, Polizei wie Politik halten sich mit diesbezüglichen Stellungnahmen bewusst zurück. Klar ist aber: Die Täter müssen das Ganze offenbar länger genau geplant haben. Sechs der acht Explosionen ereigneten sich zwischen 8.30 und 9 Uhr binnen einer halben Stunde. Die Bomben wurden in der St.-Antonius-Kirche in Colombo (die nicht nur zentrales Heiligtum der Katholiken ist, sondern auch von Angehörigen anderer Religionen besucht wird), der ebenfalls katholischen und mit über 1000 Gläubigen besetzten St. Sebastian im 40 Kilometer nördlich gelegenen Negombo sowie der protestantischen Zionskirche in der östlichen Provinzstadt Batticaloa gezündet.

Dazu detonierten in dicht beieinander in der Innenstadt Colombos gelegenen Nobelherbergen Bomben: im Kingsbury Hotel, im Shangri-La und im Cinnamon Grand, Letzteres ganz in der Nähe der Residenz von Premier Ranil Wickremesinge, Erstgenanntes nur anderthalb Blocks vom Hafen entfernt. Im Shangri-La sprengte sich ein Selbstmordattentäter zwischen Wartenden am Frühstücksbuffet des im dritten Geschoss liegenden Restaurants in die Luft, was dort besonders viele Todesopfer forderte - unter ihnen eine einheimische Starköchin und deren Tochter, eine College-Studentin.

Dramatische Szenen spielten sich ab, als Helfer Verletzte aus den Trümmern bargen. Der Minister für ökonomische Reformen, Harsha de Silva, schrieb in Tweets erschüttert von zwischen Splittern und blutgetränkten Balkenteilen herumliegenden Leichenteilen. Das Personal in den Krankenhäusern war zeitweise fast überfordert von der Vielzahl der Verwundeten, die versorgt werden mussten.

Etwas später gab es zwei weitere Detonationen - in einer Wohnanlage und einem kleinen Hotel am südlichen Rande Colombos. Sicherheitskräfte hatten dort Verdächtige verfolgt und waren dem Hinweis auf ein Waffenlager nachgegangen. Ein weiterer Sprengsatz konnte entschärft werden: Die Rohrbombe, nach Experteneinschätzung eher einheimischer Konstruktion, die sich auf einer Straße in Flughafennähe fand, hätte ebenfalls viel Unheil anrichten können. 24 Verdächtige sollen sich nach jüngsten Behördenangaben vom Montagnachmittag (Ortszeit) in Haft befinden.

Während Staats- und Regierungschefs aus aller Welt vom indischen Premier Narendra Modi und Pakistans Imran Khan über führende Köpfe der EU-Staaten bis hin zu US-Präsident Donald Trump die Anschläge verurteilten, schlossen Papst Franziskus in Rom und der Erzbischof von Canterbury als Oberhaupt der Anglikaner die Opfer ausdrücklich in ihre Osterbotschaften ein, riefen zu Frieden und Eintracht auf.

Bekannt hat sich zu den Terrorakten noch niemand, bestimmte Fingerzeige in Richtung Verbündeter des Islamischen Staats (IS) sind bisher unbestätigt. Die Regierung ließ verlauten, bei den Verhafteten handle es sich um Einheimische. Allerdings hat Premier Ranil Wickremesinghe offiziell bestätigt, dass die Polizei schon vor zehn Tagen Hinweise erhalten habe, die bisher nicht näher bekannte radikalislamische Gruppe National Thoweeth Jamaath (NTJ) könnte Anschläge planen - explizit auf Kirchen. Gesundheitsminister und Regierungssprecher Rajitha Senaratne verwies auf mutmaßlich ausländische Hintermänner - »ohne ein internationales Netzwerk wäre das nicht möglich gewesen«.

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