Neun Seiten Misstrauen

Fragebogen der Bezirke für Asylsuchende beim Antrag auf Sozialhilfe stehen in der Kritik

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist nicht immer leicht, sich in einem unbekannten Land zurechtzufinden, vor allem wenn es sich dabei um ein so bürokratisches Staatswesen wie Deutschland handelt. Geflüchtete haben es dabei besonders schwer, kaum sind sie dem Leiden im eigenen Land entflohen und am Ziel ihrer Flucht angekommen, müssen sie erst einmal einen ganzen Haufen Papierkram erledigen - und das in einer ihnen völlig fremden Sprache.

In Berlin stehen die Asylsuchenden je nach Bezirk vor zusätzlichen Schwierigkeiten. So werden in Lichtenberg, Pankow, Mitte und Tempelhof-Schöneberg beim Antrag auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz mittels eines Fragebogens Ermittlungen darüber angestellt, ob Voraussetzungen für eine Leistungseinschränkung vorliegen. Damit soll geprüft werden, ob der Leistungsbezug das prägende Motiv der Einreise gewesen ist.

Neun Seiten ist der Fragebogen insgesamt lang, 36 Fragen zu Fluchtursachen, -routen oder Religionszugehörigkeit müssen dort detailliert beantwortet werden - allesamt auf deutsch. Mehrsprachige Formulare gibt es nicht. Trotzdem folgt am Ende die Erklärung: »Verständigungsschwierigkeiten gab es keine« und »Übersetzungsfehler oder durch die Übersetzung bedingte Missverständnisse« gehen zu Lasten des Antragstellers. Dabei ist der Fragebogen schon für Muttersprachler*innen schwer zu verstehen. »Es ist nicht leicht nachvollziehbar, was da eigentlich abgefragt wird«, kritisiert die Landesvorsitzende der Berliner LINKEN, Katina Schubert. »Es werden sehr viele Daten abgefragt und es ist unklar, ob sie wirklich dem Zweck dienen, die Leistungsberechtigung festzustellen.«

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales: »Der Senat sieht den Einsatz dieses Fragebogens oder ähnlicher Fragebögen kritisch«, heißt es in einer Antwort auf eine schriftliche Anfrage von Katina Schubert zu den Fragebögen. Die darin enthaltenen Fragen erschienen »nicht durchweg geeignet«, um die Voraussetzungen für eine Leistungseinschränkung zweifelsfrei zu klären, heißt es weiter. »Sie können zumindest Anlass für Fehleinschätzungen geben.«

Die meisten Bezirke sehen daher von der Verwendung des umstrittenen Fragebogens ab: Etwa in Neukölln, wo dieser, nachdem er im vergangenen Jahr in zwei Fällen eingesetzt wurde, »als nicht brauchbar beziehungsweise problematisch« eingestuft und nicht weiter genutzt wurde. Das Bezirksamt sei zu der Einschätzung gelangt, dass ein Großteil der Fragen für die Einschätzung, ob Ansprüche nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bestehen, unerheblich seien, so ein Sprecher gegenüber »nd«.

Ob unerheblich oder nicht, für Katina Schubert ist der Fragebogen noch in anderer Hinsicht problematisch: »Das Sozialamt greift dort in ein Verfahren ein, das eigentlich beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge läuft«, kritisiert sie. Für Schubert ist unverständlich, warum die Bezirke die Asylberechtigung der Antragsteller*innen prüfen, wo dies doch schon durch das Bundesamt geschieht. »Das steht dem Sozialamt schlicht nicht zu«, ist sie überzeugt.

Auch aus datenschutzrechtlicher Perspektive sei der Fragebogen problematisch, da keine Aufklärung darüber stattfinde, was eigentlich angegeben werden muss und was nicht. »Man muss das Asylbewerberleistungsgesetz einhalten, aber man muss die Menschen nicht zwingen, sich derart nackig zu machen und sie müssen in der Lage sein, nachzuvollziehen, was da eigentlich von ihnen verlangt wird«, findet Schubert. »Das Recht auf Datenschutz gilt auch für geflüchtete Menschen.«

Verbieten lässt sich der Einsatz der Fragebögen durch den Senat jedoch nicht, da die Sozialämter den Bezirken unterstehen. Man werde jedoch gemeinsam mit den Bezirken und der Datenschutzbeauftragten nach Lösungen suchen, um zu einem einheitlichen Handeln in den Bezirken zu kommen, so eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Integration zu »nd«. Dabei werde man die Bezirke, die die Fragebögen auch in Zukunft verwenden wollen, anregen, diese unter Berücksichtigung des Datenschutzes auf wirklich notwendige Fragen zu beschränken. Die Datenschutzbeauftragte will den Fragebogen überdies datenschutzrechtlich prüfen.

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