Gurken pflastern seinen Weg

Es gibt tatsächlich 111 Gründe, Energie Cottbus zu lieben. Auch wenn es oft schwer ist.

  • Frank Willmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Man mag es beim Blick auf die Tabelle der 1. Bundesliga nicht glauben, doch tatsächlich ist der Ball auch im Osten Deutschlands rund.

Unter den glücklichen Chefs der Sportressorts in deutschen Medien, die jede Nacht in frisch gewaschener Bayern-, Dortmund oder Bremenbettwäsche schlafen, fällt eine Person auf. Christian Spiller. Wenn andere Sporterklärer in feinstem Musselin, Brokat und Seide durch die Nacht gleiten, ist der Schlafanzug des Sportchefs von »Zeit online« aus getrockneten Disteln, mit spitzen Zacken. Damit er sich immer daran erinnert, wo er herkommt: aus Cottbus.

Nein, bitterer Graus, arrrgh, ahhh! Ohhh Cottbus, ohhh Schauergesang, du Ort am finstern Popo jeder Tabelle, wo der Legende nach der Nazi gurrt und die guten Menschen rar gesät sind. Oder ist es doch alles ein bisschen anders? Nur finstre Propaganda aus den Schwanenhälsen blasierter Ballpumpen? Regiert vielleicht der Neid in bestimmten Gegenden? Neid auf diesen Club, der von 1997 bis 2014 in der 1. und 2. Liga gespielt hat? Dort mehrfach Bayern München schlug und in den Herzen seiner Fans ein immerwährendes Feuer entfachte, das auch heute noch glimmt, wo sich Energie unter der Knute des Wüterichs Pele Wollitz mit aller Gewalt gegen den Abstieg aus der 3. Liga stemmt? Ist möglicherweise der Halbwahnsinnige Wollitz genau der richtige Mann für Energie?

In seinem frisch erschienenen Buch nimmt uns Christian Spiller mit auf eine Reise durch die Historie des Klubs, in der es Blut, Schweiß und Tränen regnet und kein Auge trocken bleibt. Spiller wurde von seinem wohlmeinenden Vater mit ins Cottbusser Stadion der Freundschaft (allein dieser Stadionname!!!) genommen, wo er die ersten Jahre seines Fanseins auf den Knien des Vaters verbrachte. Diese Zeit hat ihn geprägt und einen rotweißen Streifen auf sein hungriges Herz genietet. Der Vater sei ein eher ruhiger Zeitgenosse gewesen, der in bestimmten Situationen, hervorgerufen durch die Aktivitäten von Energie Cottbus auf dem Rasen, aber zu einem feuerspeienden Vulkan werden konnte.

Derart motiviert, blieb klein Christian offenbar nichts anderes übrig, als fortan den Cottbusser Gurkenpogo zu tanzen. Er wurde ein richtiger Fan, fuhr auswärts mit, ließ sich schubsen und mit Bier begießen, schnupperte an Bengalos und stürmte mit anderen glückseligen Gestalten dreimal den Platz, weil die Wucht des sportlichen Ereignisses ihm keine andere Wahl ließ.

Er ist ein echter Fußballfan, gesalbt mit der Hexensalbe des höchsten Glücks und des bittersten Leids. Im Gegensatz zu diversen Bayernmolchen, die das eigene Stadionrund nur aus dem Fernseher kennen und bei Toren ihrer Mannschaft höchstens mal über das heimische Sofa hoppeln. Somit ist Spiller aufs Beste präpariert, um über all die wunderbaren, schrecklichen, verwegenen, peinlichen Momente der Historie seines Klubs zu schreiben. Wie Energie den Schikanen der DDR trotzte, wie Energie den Schikanen der BRD trotzte. Wie ein Cottbusser Vokuhila Ronaldo trotzte. Warum Cottbus keine Diplomatenschmiede ist. Weil einmal elf sogenannte Ausländer in der Startaufstellung von Energie standen. Und so weiter, und so weiter.

111 Gründe, Energie Cottbus zu lieben: Eine Liebeserklärung an den großartigsten Fußballverein der Welt, Christian Spiller, 280 Seiten, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2019, ISBN: 3-862-6576-12, 9,99 Euro

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