Es wird Tränen geben

Mit Nilla Fischer verschiedet der VfL Wolfsburg nicht nur eine Ausnahmefußballerin, sondern auch ein Vorbild im Kampf gegen sexuelle Diskriminierung.

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Nilla Fischer macht kein Hehl daraus, dass Tränen der Rührung bei ihr manchmal schwer aufzuhalten sind. Schon vor anderthalb Wochen hatte sich die Spielführerin der Wolfsburger Fußballerinnen nach dem Sieg im Finale des DFB-Pokals weinend durch die grün-weißen Konfettischnipsel auf dem Rasen des Kölner Stadion gewälzt. Nun könnte sich die Prozedur im kleinen Wolfsburger Stadion nach der Übergabe der Meisterschale wiederholen: Dass die Fußballerinnen des VfL Wolfsburg bereits vor dem letzten Heimspiel der Bundesliga am Sonntag gegen Turbine Potsdam zum dritten Mal das nationale Double sicher haben, ist das eine. Dass gleichzeitig eine prägende Figur ihre Abschiedsvorstellung gibt, das andere.

Ein Fanfest im Allerpark, direkt vor der großen Arena, ist organisiert - Oberbürgermeister Klaus Mohrs wird das Goldene Buch für einen Eintrag mitbringen. »Gerade die Verabschiedung verdienter Spielerinnen verspricht ein emotionales Highlight zu werden«, teilte VfL-Geschäftsführer Tim Schumacher mit, ohne den Namen Fischer explizit zu erwähnen. Ein bisschen mehr Personenkult wäre bei solch einer starken Persönlichkeit durchaus angebracht.

Als die schwedische Nationalspielerin 2014 zum damaligen Champions-League-Sieger wechselte, war sie als eine der weltbesten Verteidigerinnen bekannt. Dass die Symbiose zwischen Stadt, Verein und Spielerin derart innig werden würde, ahnte sie nicht. Sie selbst hatte sogar durchaus ihre Zweifel. »Als ich ankam, habe ich gedacht, ich würde vielleicht zwei Jahre in Wolfsburg spielen. Ich habe nicht erwartet, so lange zu bleiben«, räumt Fischer im Gespräch mit dieser Zeitung ein. Sie musste erst Deutsch lernen, um sich besser zurechtzufinden. Und dann waren es alltägliche Begebenheiten, die ihr das Ankommen in der Autostadt erleichterten. Sicherlich, die Menschen in Schweden seien offen und tolerant, aber dort war sie es nicht gewohnt, beispielsweise so schnell in ein Gespräch an der Bushaltestelle verwickelt zu werden wie im östlichen Niedersachsen.

Aus den geplanten zwei Jahren beim VfL sind fünf geworden, weil sie längst für sich sagt: »Home is where your heart is« (Heimat ist, wo dein Herz ist). Über die Leute könne sie nur Gutes sagen. »Es tut mit wirklich weh, dass ich gehe.« Sie hat bei Linköpings FC einen Vertrag bis Ende 2021 unterschrieben, um ihrem inzwischen in Schweden lebenden Sohn Neo wieder näher zu sein. Eine entsprechende Heimatklausel hatte sie in ihren Vertrag klugerweise einbauen lassen.

Ihr war immer wichtig, dass es neben sportlichen Erfolgen auch eine Akzeptanz für ihr Lebensmodell gibt, nachdem sie anfangs ja nicht wusste, wie die neue Umgebung darauf reagieren würde. Die 34-Jährige ist lesbisch, was unter Fußballerinnen keine Besonderheit darstellt und akzeptiert ist. Noch bevor Nilla Fischer nach Wolfsburg kam, hatte sie 2013 ihre Partnerin Maria-Michaela Hakalx geheiratet, auf ihrem kräftigen Oberarm ist ein Tattoo mit einer Liebesbotschaft verewigt. Die nächste symbolhafte Handlung folgte im März 2017, als sie hierzulande erstmals mit einer Regenbogenbinde auflief.

Seit Beginn dieser Saison tragen alle Fußballteams - von der Jugend bis zu den Profis - unter dem Dach der Wolfsburger Fußball-GmbH die bunte Binde. »Bei dieser Aktion entstand ein etwas falscher Eindruck«, beklagte kürzlich die Nationaltorhüterin Almuth Schult, weil in der medialen Berichterstattung meist unterschlagen werde, wer überhaupt diesen Ball ins Rollen gebracht hatte: »Oft wird das auf Männer-Spielführer Josuha Guilavogui reduziert.« Dabei sagt Nilla Fischer: »Es war meine Idee, um ein Zeichen zu setzen.« Vor allem gegen sexuelle Diskriminierung. Fischer hat den Männerfußball deswegen oft bedauert. »Im Männerfußball musst du männlich sein. Das ist nicht das Umfeld, um anders zu sein.«

Mit dem Abschied im Allerpark ist die Saison für die starke Anführerin aber noch nicht beendet. Die Weltmeisterschaft vom 7. Juni bis 7. Juli in Frankreich wirft ihre Schatten voraus. »Darauf freue ich mich natürlich«, betont die 175-fache Nationalspielerin. Wie immer ist die kampfeslustige Abwehrspielerin als Fixpunkt im schwedischen Team fest eingeplant, es wird ihr zehntes großes Turnier sein. Dreimal hintereinander bei der Europameisterschaft 2013 im eigenen Land im Halbfinale, bei der Weltmeisterschaft 2015 im Achtelfinale und bei den Olympischen Spielen 2016 im Finale verloren die Schwedinnen gegen Deutschland. Doch diese Serie muss ja nicht ewig fortgeschrieben werden. Fischer hat hohe Ziele: »Es gibt viele Mannschaften, die den Titel gewinnen können. Auch wir können das schaffen.« Die nächsten Tränen wären dann gewiss.

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