- Kommentare
- Europawahl
Skandale ändern nichts, ...?
Es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass man Sebastian Kurz noch eine Weile ertragen muss
Ginge der Lauf der Dinge einmal angemessen vonstatten, so verschwänden Heinz-Christian Strache, Johann Gudenus und mit ihnen die gesamte österreichische Gruselregierung ganz schnell in einem Kellerloch der Geschichte. Die Sonneninsel Ibiza würde rehabilitiert und jenen, die der österreichischen Mundart ansonsten nicht mächtig sind, bliebe das Wissen, dass, wenn dort ein «peinliches oder bedenkliches Ereignis durch Alkoholeinfluss erklärt oder verharmlost» wird, der Vorgang selbst als volltrunken bezeichnet wird, nicht etwa nur die Protagonisten. Also der für sich genommen sehr hübsche Ausdruck «a b’soffene G’schicht» (so im «Österreichischen Wörterbuch» online unter www.ostarrichi.org nachzulesen) bliebe und alle Hässlichkeiten würden verschwinden.
Nicht ganz ausgeschlossen ist jedoch, dass man Sebastian Kurz noch eine Weile ertragen muss, der - vermutlich stocknüchtern und noch bevor ihm alle seine FPÖ-Minister abhanden gekommen waren - vor einem «Rechtsruck» und einem «Linksruck» in Europa warnte. Zwar wollte er naturgemäß damit nur sagen, dass er selbst, seine ÖVP und die europäischen Konservativen der EVP trotz allem die Besten sind, doch klang aus seinem Mund beides gleichermaßen absurd. Den Rechtsruck in Österreich hatte er schließlich von eigener Hand besorgt - und viel Schlimmeres ist derzeit nun wirklich kaum zu erwarten - und mit den aus seiner Sicht schon ziemlich linken Sozialdemokraten muss er nun zwangsläufig verhandeln.
Immerhin sieht Europastaatsminister Michael Roth (SPD) in der Affäre einen «Weckruf», dass man Europa «nicht in die Hände von Nationalisten und Populisten geben sollte», und CSU-Chef Markus Söder zog eine ähnliche Lehre für die deutsche Politik. Zwar ist bedauerlich, dass sie dies nicht bereits in den besseren Zeiten der stramm rechten österreichischen Regierung erkannten. Aber immerhin! Denn Wissenschaftler und Meinungsforscher glauben, dass der Ibiza-Skandal zumindest in Deutschland nicht viel verändern werde. «Man sollte den Effekt der FPÖ-Affäre nicht überschätzen, sagte der Politologe Frank Decker. Der Chef des Umfrageinstituts Forsa, Manfred Güllner, wurde zitiert mit den Worten: »Die AfD-Wähler ... wollen den Rechtsstaat beseitigen. Bei denen gerät FPÖ-Chef Strache nach seiner Videoaffäre in die Opferrolle.« Warum nicht die Presse kaufen, und sei es mit den Russen? Warum nicht den Wahlkampf mit allen Mitteln finanzieren? Böse ist nur, wer einen dabei ertappt.
Wahlen ändern nichts, sonst wären sie verboten, heißt es nur noch selten, und auch bei Linksradikalen ist es aus der Mode gekommen, den Wahlzettel in der Kneipe des Vertrauens gegen Freibier einzutauschen. Was Skandale ändern können, ist eine Wissenschaft für sich. Die Versuchsanordnung steht europaweit bereit.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.