Der Bundesgerichtshof und die Not mit dem Härtefall
Fragen & Antworten zur Eigenbedarfskündigung
Bei Eigenbedarf hat der Mieter normalerweise schlechte Karten. Es sei denn, er beruft sich auf einen Härtefall. Angesichts weniger bezahlbarer Wohnungen und vieler älterer Mieter geschieht das oft - und macht der Justiz zunehmend zu schaffen.
Der Bundesgerichtshof nahm am 22. Mai 2019 zwei Eigenbedarfskündigungen zum Anlass, allzu schematischen Prüfungen der Gerichte einen Riegel vorzuschieben. Untermauert der Mieter den Härtefall mit einem ärztlichen Attest, muss jedenfalls ein Gutachter gehört werden, präzisierte der BGH seine bisherige Rechtsprechung.
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Wie definiert das Gesetz den Härtefall?
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 573 BGB) kann ein Vermieter einem Mieter kündigen, wenn er Eigenbedarf für sich, seine Familie oder Angehörige seines Haushalts geltend macht. Der Mieter kann sich dagegen unter Verweis auf Paragraf 574 BGB wehren, wenn es für ihn und seine Angehörigen eine Härte bedeuten würde, »die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist«.
Die liegt auch vor, wenn eine angemessene Ersatzwohnung nicht zu zumutbaren Bedingungen beschafft werden kann.
Worum ging es vor dem BGH?
Im ersten Verfahren hatte ein Familienvater einer 80-jährigen Mieterin gekündigt, die seit 45 Jahren in einer Berliner Wohnung lebt und der Demenz attestiert wurde. Sie will nicht raus. Doch der Eigentümer braucht selbst eine größere Bleibe. Er will mit seiner Frau und den zwei kleinen Kindern aus einer Zweizimmerwohnung in die vor Kurzem gekaufte 73 Quadratmeter große Dreizimmerwohnung der Seniorin ziehen.
In einem weiteren Fall wehren sich zwei Mieter einer Doppelhaushälfte in der 9000-Einwohner-Gemeinde Kabelsketal bei Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt gegen den Rauswurf. Die Eigentümerin will mit ihrem Freund einziehen - ursprünglich, um der pflegebedürftigen Großmutter näher zu sein.
Wie haben die Vorinstanzen entschieden?
In beiden Verfahren wurde der Eigenbedarf des Vermieters bestätigt. Bei der Berliner Seniorin entschied das Landgericht aber, dass die alte Dame, die dort mit zwei über 50 Jahre alten Söhnen lebt, nicht ausziehen muss - weil sie schon so lange dort wohnt und sich wegen ihrer Demenz woanders vielleicht nicht mehr zurechtfinden würde. Außerdem sei bezahlbarer Ersatz in Berlin rar. Dagegen legte der Familienvater Revision vor dem BGH (Az. VIII ZR 180/18) ein.
In Sachsen-Anhalt-Fall war die Vorinstanz dagegen der Ansicht, ein Umzug sei den Mietern zuzumuten. Dagegen zogen diese vor den BGH (Az. VIII ZR 167/17). Die Mieter, die seit 2006 mit zwei Verwandten in dem Haus wohnen, sehen den Eigenbedarf vorgeschoben - zumal die Oma der Vermieterin inzwischen tot ist. Sie halten einen Auszug aufgrund schwerer Erkrankungen - darunter Parkinson, Depression und Alkoholkrankheit - für nicht zumutbar.
Was monierte der BGH?
Die höchsten Zivilrichter sehen die Tendenz, dass viele Fälle von Gerichten schematisch und »nicht in gebotener Tiefe« gelöst werden - und hoben die beiden Urteile deshalb auf. Sie vermissen eine gründliche Prüfung im Einzelfall: bei der Berliner Seniorin etwa klare Feststellungen dazu, welche Verschlechterung ihr bei einem Umzug drohen könnte.
Auch sei dem Interesse des Vermieters vom Landgericht rechtsfehlerhaft ein geringeres Gewicht beigemessen worden, weil er eine vermietete Wohnung erwarb. Im Fall aus Kabelsketal seien hingegen vom Landgericht Halle gesundheitliche Beeinträchtigungen der Mieter bagatellisiert worden.
In beiden Fällen sei es versäumt worden, ein Gutachten einzuholen zu den gesundheitlichen Folgen des erzwungenen Umzugs auf die Mieter.
Was gibt im Härtefall den Ausschlag?
Nach Ansicht des Deutschen Mieterbundes (DMB) müssten Kriterien wie hohes Alter und Krankheit grundsätzlich schwerer wiegen als die Interessen der Vermieter. Doch Alter allein genügt nicht: Es gibt 80-jährige Marathonläufer und Menschen, denen es schon mit Anfang 60 schlecht geht, so die Vorsitzende BGH-Richterin Karin Milger. »Allgemeine Fallgruppen, etwa ein bestimmtes Alter des Mieters oder eine bestimmte Mietdauer, in denen generell die Interessen einer Partei überwiegen, lassen sich - entgegen einer teilweise bei den Instanzgerichten anzutreffenden Tendenz - nicht bilden«, so der BGH.
Entscheidend ist, welche Folgen ein Umzug für den Mieter hätte. Auch die Lebensplanung des Vermieters darf nicht ignoriert werden. Im Zweifel muss ein Gutachten helfen.
Warum blickten Mieter wie Vermieter so gespannt nach Karlsruhe?
Eigenbedarf ist laut Mieterbund der häufigste Kündigungsgrund. DMB-Geschäftsführer Ulrich Ropertz geht von jährlich 80 000 Eigenbedarfskündigungen aus und kritisiert: »Die Gerichte haben in den letzten Jahren die Eigenbedarfskriterien stark aufgeweicht.«
Der Präsident von Haus & Grund Deutschland, Kai H. Warnecke, warnt dagegen vor »einseitiger Stimmungsmache« und empfiehlt Käufern, sich darauf einzustellen: Eigenbedarf ist nicht immer leicht umzusetzen. dpa/nd
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