- Kommentare
- Zuzahlungen für den Arztbesuch
Das Märchen von der sozial gerechten Gebühr
Bundesärztepräsident Reinhardt will Behandlungsgebühren einführen, um Patienten zu steuern. Betroffen sind vor allem die Armen gemeint.
Die FDP fordert gerne die Abschaffung oder Decklungen von Gebühren – und meistens sind es Vermögende, die von diesen Maßnahmen überproportional profitieren. Doch bei einem Thema kann man den Liberalen einmal explizit Danke für ihren Einsatz für die soziale Gerechtigkeit sagen: die Abschaffung der Praxisgebühr. Studien zeigten, dass gerade ärmere Menschen ihre Arztbesuche zumindest verschoben. Die Gesamtzahl der Besuche veränderte sich indes kaum.
Doch ausgerechnet der neue Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, greift nun im Jahr 2019 wieder auf die Idee in ähnlicher Form zurück. Er fordert im Interview mit der »Berliner Morgenpost« sozial gestaffelte Zuzahlungen für Behandlungen. »Es geht um eine bessere Steuerung von Patienten«. Doch eines sollte hier jedem klar sein: Die Steuerung, die er meint, zielt vor allem auf arme Menschen ab. Und diese Menschen sind von so einer Regelung im doppelten Sinn betroffen. Sie sind in den Augen gerade vieler Gutgebildeter schlichtweg »zu blöde«, um zu entscheiden, ob ihre Erkrankung jetzt wirklich dringend ist oder nicht. Dabei gehen sie schon jetzt sogar vielfach zu selten und zu spät zum Arzt - Erkrankungen werden zudem oft auch erst später erkannt als bei Normal-, geschweige denn Besserverdienenden.
Wirklich gerecht kann selbst eine sozial gestaffelte Zuzahlung nie sein. Denn arme Menschen sind schon heute erheblich öfter krank, allein deshalb würden sich die Kosten für sie summieren. Ein Beispiel für die Ungleichheit, was Krank und Gesund betrifft: Der Anteil der Herzkranken liegt bei Hartz-IV-Empfängern um ein Drittel höher als bei Menschen im Job. Und noch ein Fakt zum Thema Klassismus: Gutverdiener schränken ihre Besuche bei Zuzahlungen weniger ein. Sie können es sich schlichtweg leisten.
Herr Reinhardt, halten Sie es mit der FDP: Gebühr, nein Danke!
Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.