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Luft zum Atmen
Sebastian Bähr über die Bürgermeisterwahl in Istanbul
In der Nacht zu Montag verwandelten sich Istanbuls Oppositionshochburgen in eine riesige Party. Tausende Menschen tanzten gelassen durch die Straßen, Fahnen der Linkspartei HDP wehten neben Wimpeln mit dem Konterfei des CHP-Gründers Atatürk. Der Geist der Gezi-Proteste von 2013 zog durch die Gassen. Der zweite Sieg - und diesmal überragend - des CHP-Oppositionskandidaten Ekrem İmamoğlu gegen den AKP-Veteranen Binali Yıldırım war mehr als eine bloße Kommunalwahl in einer türkischen Großstadt. Es war ein Aufbäumen vereinigter Demokraten gegen die autokratische Bevormundung.
In der aufgeheizten Auseinandersetzung über die Zukunft des Landes erhielt Präsident Erdoğan eine Ohrfeige. Sein durchsichtiger Versuch, mittels einer Wahlannullierung das Machtzentrum Istanbul für die AKP zurückzuerobern, wurde verhindert. Die Wähler behaupteten sich gegen Einschüchterungen, Spaltungsversuche und die Manipulationen staatlich kontrollierter Medien. Dafür gewannen sie in harten Zeiten Luft zum Atmen.
Die Streitigkeiten innerhalb der AKP und der Regierung dürften nach der Wahlniederlage nun zunehmen, Erdoğans Machtfülle zumindest sinken. Man kann in dieser Situation nur hoffen, dass das breite demokratische Bündnis zusammenhält. Die CHP hatte ihren Sieg erneut vor allem der taktischen Wahlunterstützung der kurdischen Bevölkerung zu verdanken. İmamoğlu nannte das Ergebnis den »Anfang der Veränderung«. Es wäre schön, wenn er recht behielte.
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