Unterschätztes Kapital

Simon Poelchau glaubt, dass der Kapitalismus die Klimakrise meistern kann. Nur der Preis ist die Frage.

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 2 Min.

Etwas weiter hinten im »Kapital« von Karl Marx steht ein Satz, den Öko-Marxisten gerne heranziehen, um zu beweisen, dass Umweltschutz und Kapitalismus ein Widerspruch sind. Die kapitalistische Produktion untergrabe die Springquellen allen Reichtums, heißt es da, »die Erde und den Arbeiter«. Schaut man sich die letzten 200 Jahre und den Zustand der hiesigen Industrie an, scheint an dem Satz tatsächlich etwas dran zu sein. Die Energiewirtschaft setzt weiterhin zu sehr auf die klimaschädliche Kohleverstromung, und die Automobilindustrie scheint den Schuss Richtung Elektromobilität noch immer nicht laut genug gehört zu haben.

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Doch unterschätzt diese Sicht, wie wandlungsfähig die kapitalistische Produktionsweise in ihrer Geschichte bisher war. Sie wechselte vom Manchesterkapitalismus zum staatlich eingehegten Fordismus bis hin zum Neoliberalismus und konnte auch den kulturellen Wandel in den Industriestaaten nach 1968 für sich fruchtbar machen. Ähnliches geschieht auch in Sachen Energiewende, nicht erst seit gestern. Deutschlands größter Versicherungskonzern, die Allianz, versichert Kohlekraftwerke und Kohleabbau nicht mehr. Die Grünen trugen Anfang der 2000er Jahre mit ihrem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) unter Rot-Grün dazu bei, dass die Photovoltaikbranche in manchen Gegenden wie in Bitterfeld-Wolfen zu einem ernstzunehmenden Wirtschaftsfaktor wurde - bis Nachfolgeregierungen das Gesetz wieder schleiften. Selbst die Buhmänner der Klimabewegung, die großen Energiekonzerne, bauen mittlerweile Windparks.

Das alles geschieht nicht im Widerspruch, sondern im Einklang mit der kapitalistischen Produktionsweise. Denn bei ihr geht es bekanntlich vor allem um eins: Profit. So ist es erst mal zweitrangig, ob auf Kosten der Umwelt oder klimaneutral gewirtschaftet wird. Verspricht Letzteres mehr Profit, dann wird das auch getan werden. Damit ist auch die Meinung der Degrowth-Bewegung falsch, dass sich Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit ausschließen. Denn bei Ersterem geht es darum, dass der Tauschwert der produzierten Waren steigt. Notwendige Investitionen in die Energiewende werden folglich auch zu größerem Wachstum führen.

Die Frage ist nur, ob wir das Kapital die Energiewende managen lassen wollen. Denn es geht bei der Bewältigung des Klimawandels auch darum, ob dies sozial gerecht geschieht oder sich Reiche herauskaufen können und die Armen in den Industriestaaten und im globalen Süden die Lasten tragen werden. Letzteres wird der Fall sein, wenn wir die Energiewende dem Markt überlassen - was nur zu noch mehr Ungleichheit führen wird.

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