Saarländische »Jammerperspektive«

Mit dem Abgang des Chefs Meinrad Maria Grewenig endet im Weltkulturerbe Völklinger Hütte eine Ära

  • Jörg Fischer, Völklingen
  • Lesedauer: 4 Min.

»Ich wünsche mir, dass sich das Saarland aus seiner zögerlichen Position herausbegibt und rauskommt aus der Jammerperspektive.« Diesen Wunsch äußerte Meinrad Maria Grewenig kurz vor seinem Ausscheiden nach 20 Jahren als Chef des Weltkulturerbes Völklinger Hütte zur Jahresmitte.

Dem Kunsthistoriker ist es maßgeblich zu verdanken, dass die Völklinger Hütte der einzige Kulturort geworden ist, der weit über das Saarland hinaus bekannt ist. Das gestehen selbst seine Kritiker dem PR-Talent zu. Seit 2013 kommen 230 000 bis 290 000 Besucher pro Jahr, rund 70 Prozent aus den anderen Bundesländern oder aus dem Ausland.

Die UNESCO adelte die Hütte vor 25 Jahren als weltweit erstes Denkmal aus dem Industriezeitalter zum Weltkulturerbe. Bis 2021 soll der einstige »Schrotthaufen Europas« mit der Eröffnung des früheren Wasserbehälters »komplett durchsaniert« sein.

Grewenig sieht sein Konzept als verwirklicht an: die Hütte ständig zu bespielen. Rund 60 Ausstellungen gab es in seiner Amtszeit. Die von den Besucherzahlen her erfolgreichsten waren solche zu großen Kulturen der Weltgeschichte wie die Kelten und die Inkas. Noch bis in den November läuft die letzte unter Grewenigs Ägide entstandene Schau: »PharaonenGold - 3000 Jahre ägyptische Hochkultur«.

Kritiker meinen, er habe den Charakter des Kulturdenkmals aus den Augen verloren. Viele Ausstellungen hätten nichts mehr mit dem Ort zu tun. 2011 nannten Inspektoren des Internationalen Rates für Denkmalpflege, der die UNESCO berät, den Zustand des Denkmals bedenklich und drohten mit Entzug des Titels. Ein Kritikpunkt war, dass die Gebläsehalle fast ganzjährig als Ausstellungsort für teils beliebige und würdelose Ausstellungen genutzt werde, wie zu »Playboy«-Karikaturen, zu Asterix oder Ferrari. Zudem kritisierten die Inspektoren und auch Antifaschisten und Linke immer offener, Grewenig habe zu lange das Thema Zwangsarbeit, das düsterste Kapitel der Hütten-Geschichte, und die Nähe der Betreiberfamilie Röchling zu den Nazis ignoriert.

Erst im vergangenen Jahr erschien eine Dokumentation dazu, die Grewenig auf Druck - wohl auch von Kultusminister Ulrich Commerçon (SPD) - in Auftrag gegeben hatte. In der früheren Sinteranlage erinnert jetzt eine Installation des französischen Künstlers Christian Boltanski an die mehr als 12 000 Männer, Frauen und Kinder aus 20 Nationen, die während des Zweiten Weltkriegs in dem Eisen- und Stahlwerk schufteten.

Commerçon sagte zum Ende der Ära Grewenig im Saarländischen Rundfunk: »Wir werden die kommenden 20 Jahre nicht weiter mit Goldausstellungen und Glitzer und Prunk bestreiten können.« Zudem müssten die Lebenswelten der Menschen und der Blick auf die Arbeit in der Zukunft, die mehr auf Künstliche Intelligenz denn Muskelkraft setze, einbezogen werden.

Als wichtigste Aufgabe eines Kulturmanagers sieht Grewenig »die Erschließung der jungen Generation für Kultur«. So lockten zum Beispiel »Eletromagnatic«-Festivals und besonders die »Urban Art Biennale« viele junge Menschen an. Dort werden alle zwei Jahre die neuesten Trends der aus der Graffitiszene hervorgegangenen Kunstform präsentiert. Die 5. Ausgabe in der »Möllerhalle« und im Außenbereich »Paradies« ist noch bis Mitte November zu sehen.

In den vergangen Jahrzehnten verlängerten schwarze und rote Minister immer wieder Grewenigs Vertrag. Der Hüttenchef, gerade 65 geworden, hätte gern weitergemacht. Doch nach einem zähen Verhandlungsmarathon entschied sich Kultusminister Commerçon dagegen. Dabei spielten auch finanzielle Fragen eine Rolle. Der Rechnungshof hatte schon vor fünf Jahren moniert, das finanzschwache Saarland zahle Grewenig (mit damals knapp 13 000 Euro im Monat) ein extrem hohes Salär und sein Vertrag sei zu gut ausgestattet - mit Dienstwagen (damals ein 7er BMW) und hohen Pensionsansprüchen. Auch Grewenigs Umgang mit finanziellen Aspekten seiner Arbeit sollen moniert worden sein. Ausschlaggebend dürften letztendlich aber die unterschiedlichen Auffassungen über das Konzept der Hütte gewesen sein.

Sein letztes Pressegespräch als Hüttenchef hatte der 65-Jährige wie immer gut inszeniert - diesmal in der »Möllerhalle«, dort, wo einst die Stoffe für die Hochöfen gebunkert wurden. Grewenig saß vor einem 3 mal 4 Meter großen Graffito des französischen Künstlers »Dran«. Auf dem Bild hält ein Junge trotzig eine tote Ratte am Schwanz. Schriftzug: »LIFE IS SHORT«. Er sagte, es blieben weder »Narben noch irgendwelche schlechten Eindrücke« zurück. Er sei dankbar, was er zusammen mit seinem Team habe bewegen dürfen. »Das reicht für drei Leben.«

Grewenig will sich weiter der »Industriekultur« widmen. Im Oktober 2018 wurde er zum Präsidenten der Europäischen Route der Industriekultur sowie kürzlich zum Vorsitzenden des Beirats der Sayner Hütte gewählt - des wichtigsten Industriekulturprojekts in Rheinland-Pfalz. Den 25. Jahrestag Weltkulturerbe Völklinger Hütte im Dezember kann er aber nicht mehr als Hütten-Manager feiern. Ein Nachfolger soll bis Anfang 2020 gefunden werden, erklärte das Ministerium auf nd-Anfrage.

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