Die rechten Hetzer sind ermutigt

Politiker und Vertreter der Zivilgesellschaft erhalten zunehmend Drohungen / AfD startet Onlineportal gegen Linke

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein WDR-Reporter und ein freier Autor erhalten am Mittwoch jeweils einen Brief. Auf den Umschlägen ist als Absender ein antifaschistisches Recherchenetzwerk angegebenen. Da sich beide Journalisten im Rahmen ihrer Arbeit intensiv mit der Neonazi-Szene in Dortmund beschäftigen, öffnen sie die Briefe. Das weiße Pulver, was dabei herausrieselt, ist zum Glück nur Backpulver und kein Milzbrand. Die sehr wahrscheinlich von Rechten verschickte Nachricht ist dennoch unmissverständlich. Die »Lügenpresse« hat die Klappe zu halten - sonst wird sie umgebracht. Wie der mutmaßlich von einem Neonazi erschossene CDU-Politiker Walter Lübcke, wie die zehn Opfer des NSU.

Meldungen über rechte Einschüchterungsversuche häufen sich. Jüngst wurde der Schriftzug »Wir töten dich« am Haus von David J. gefunden, dem Sprecher des Braunschweiger Bündnisses gegen Rechts. Kommunalpolitiker und Vertreter der Zivilgesellschaft riefen am Donnerstag in einem gemeinsam Appell Bürger und Behörden zum entschlossenen Handeln auf. Der Bürgermeister aus dem sauerländischen Altena, Andreas Hollstein (CDU), die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) und der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) berichteten von neuen Drohungen. Hollstein und Reker waren in den vergangenen Jahren bereits lebensgefährlich verletzt worden. Ein Bürgermeister unter Polizeischutz könne sein Amt nicht ausfüllen, sagte Hollstein.

Vor dem Angriff kommt die Hetze. Ein Blick nach Dresden, am Montagabend. Hunderte Pegida-Anhänger sammeln sich in der sächsischen Landeshauptstadt zu ihrer wöchentlichen Demonstration. Ein Journalisten-Team der ARD-Sendung Kontraste befragt die Teilnehmer zum Mord an Walter Lübcke. »Für mich war der Politiker ein Volksverräter«, sagt ein Demonstrant. »Im Vergleich zur linksextremen Gewalt ist ein Mord aus Hassgründen alle zwei, drei Jahre ganz normal«, ein anderer. Dann wird auf der Bühne Stimmung gegen das Kontraste-Team gemacht. »Volksverräter«-Rufe. »Einzelne Pegida-Demonstranten werden handgreiflich«, erklärt der ARD-Reporter. Die Polizei muss einschreiten.

Die Hetze der AfD wird derweil mit wachsenden Ressourcen und zunehmendem Herrschaftswissen professioneller. Am Donnerstag stellten die Vize-Fraktionschefin im Bundestag, Beatrix von Storch, und Berlins AfD-Fraktionsvorsitzender Georg Pazderski die Webseite »Blick nach Links« vor. Das bundesweite Onlineportal will angebliche linke Vorfälle erfassen, Recherchen zu linken Strukturen veröffentlichen und gegen die staatliche Förderung linker Projekte vorgehen.

De facto finden sich bisher auf dem Portal ein knappes Dutzend Texte, etwa zur linksradikalen Organisation »Interventionistische Linke«, einem linken Kampfsportfestival in Potsdam oder zu den Enteignungsforderungen des Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert. Finanziert wird die Seite vom Berliner AfD-Landesverband, ein Redakteur ist für die Betreuung zuständig. Die AfD gibt an, für den Inhalt auf behördliche, parlamentarische und »selbstrecherchierte Informationen« zurückgreifen zu wollen. Bürger werden zur Denunziation aufgerufen.

Die AfD versucht mit der Präsentation der Webseite die Ablenkung von der eigenen Verantwortung im Lübcke-Fall mit neuer Hetze zu verbinden: »Linke Gewalttäter« agieren Beatrix von Storch zufolge in Deutschland im »rechtsfreien Raum« - und »Politik, Presse und Justiz« würden ihnen dabei einen »Freifahrtsschein« ausstellen. Mit dieser Aussage schafft die Politikerin gewaltbereiten extremen Rechten eine Legitimation zum Handeln in vermeintlicher Notwehr.

Robert Lüdecke von der Amadeo-Antonio-Stiftung warnte am Donnerstag, dass die Webseite dazu diene, antifaschistisches Engagement zu diffamieren und »Hass zu schüren«. Die dort veröffentlichten Zahlen und Vorfälle sollte man nicht ungeprüft übernehmen. Es sei eine bekannte Strategie der AfD, »dass Fälle und Äußerungen aus dem Kontext gerissen werden«, so der Experte. Auch Lüdecke sieht in der Veröffentlichung einen Zusammenhang mit dem Lübcke-Mord. Die AfD stehe aktuell unter Druck. »Sie werden alles daran setzen, den Fokus der Debatte wieder zu verschieben.«

Im Zuge der zunehmenden Hetze werden die Rufe nach größerem zivilgesellschaftlichem und staatlichem Engagement lauter. München hatte am Dienstag gezeigt, wie das aussehen kann. Bürgermeisterin Christine Strobl überreichte den diesjährigen Publizistikpreis der Stadt dem Fachjournalisten Robert Andreasch. Im Literaturhaus wurde der 45-Jährige dafür ausgezeichnet, seit mehr als 25 Jahren mit großer Sorgfalt und Kenntnis über die Neonaziszene zu berichten, auch unter persönlichem Risiko. Und nicht immer mit Unterstützung der Behörden: Zeitweise stand das antifaschistische Aida-Archiv, mit dem Andreasch eng zusammenarbeitet, selbst im Verfassungsschutzbericht.

Der Journalist war unter anderem Beobachter bei zahlreichen NSU-Prozesstagen und hatte sich eingehend mit der Gruppe um Martin Wiese auseinandergesetzt. Diese hatte 2003 einen Anschlag auf die Grundsteinlegung des Jüdischen Zentrums in München geplant. Andreasch warnte bei der Preisverleihung, dass die nächsten Monate gefährlich werden würden. »Jetzt brechen alle Dämme.«

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