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Fototermin mit Panzer

Der Waldbrand bei Lübtheen wirft viele Fragen auf - auch darüber, wie Medien von Katastrophen berichten können.

  • Lotte Laloire
  • Lesedauer: 7 Min.

Kummer ist 18 Kilometer entfernt, Lübtheen ist noch nicht angeschrieben und Dömitz durchgestrichen. Im Landkreis Ludwigslust-Parchim gibt es zur Zeit viele Umleitungen. Vom Auto aufgeschreckt, humpelt eine Katze unter einen Traktor. Außer ihr und einem Fuchs taucht minutenlang niemand auf, den das Fernlicht stören könnte.

Nach dem Örtchen Eldena macht die B191 einen weiten Bogen, vorbei an einer Baumschule, einem Hufschmied. Und dann ist er plötzlich da. Dieser Geruch. Völlig unvermittelt schlägt er einem ins Gesicht. Das Atmen wird schwerer. Selbst durch die geschlossenen Fenster dringt der Rauch ins Auto und mit ihm Anflüge von Panik. Er kommt von dem Brand, der bereits eine Waldfläche in der Größe von 400 Fußballfeldern vernichtet hat. Der größte Brand in der Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns. Ein Westwind muss die Schwaden vom ehemalige Truppenübungsplatz der Bundeswehr nahe Lübtheen hierher getragen haben. Luftlinie 22 Kilometer entfernt glimmt auf Bodenhöhe eine Decke aus Kiefernnadeln, die an einigen Stellen bis zu 50 Zentrimeter dick ist. Ein Wipfelbrand ist bisher ausgeblieben, sagen Experten. Selbst ansehen können Journalisten das nicht.

»Ein anderer Osten«

Gebrannt hatte es in der Lübtheener Heide schon oft, auch letztes Jahr, auch letzte Woche. Am vergangenen Sonntag ist das scheinbar besiegte Feuer erneut ausgebrochen und hat sich in kürzester Zeit auf 1300 Hektar ausgedehnt - angeblich Brandstiftung. Um 18.48 Uhr hat Landrat Stefan Sternberg den Katastrophenfall ausgerufen. Er musste immer mehr Einsatzkräfte bestellen - Feuerwehr, Bundeswehr, Polizei, Technisches Hilfswerk, Rettungsdienste, Bundes- und Landesforst. Aus ganz Nord- und Ostdeutschland sind Profis und Freiwillige angerückt, einige voller Spaß und Energie, andere ziemlich ausgezehrt. Sie kämpfen rund um die Uhr, im Vier-Schicht-System, gegen das Feuer.

Neben den meist männlichen Helfern im Wald bringen sich in Lübtheen auch Frauen ein. Sie kümmern sich um die Kinder, verteilen Suppe, backen Kuchen. Sogar eine Marzipantorte gab es, und Christen aus einer Freikirche verteilten kostenlos Burger. Sehen kann man die Solidarität auch, wenn auf dem Parkplatz die Reifen eines Versorgungswagens im Sand durchdrehen. Binnen Sekunden springen Umstehende zu Hilfe und schieben den Wagen aus der Kuhle. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) spricht, so emotional, wie sie kann, von »einem anderen Osten«. Anders, als er so oft gezeichnet werde.

Eskortiert an ausgewählte Orte

Währenddessen brausen alle paar Sekunden Einsatzfahrzeuge durch den 4700-Seelen-Ort. Für einige sind die Straßen viel zu schmal. Sechs Löschhubschrauber, 22 Wasserwerfer und sogar »Dachse« und »Büffel«, also Pionier- und Bergepanzer, sind unterwegs. Dass ein Feuerwehrmann einfach einen Wasserschlauch auf die Flammen hält - was man sich als Laie unter Löscharbeiten vorstellt -, ist hier nicht möglich. Denn auf dem brennenden Truppenübungsplatz schlummert eine unbekannte Menge alter Munition. Von der Wehrmacht über die NVA bis hin zur Bundeswehr haben Soldaten hier jahrzehntelang Schießen geübt. Die im Boden verstreute Munition kann bei Hitze explodieren. Ständig knallt es hier, berichten auch Anwohner. Damit niemand in die Luft fliegt, müssen alle 1000 Meter Abstand zum Brand halten, selbst die Einsatzkräfte. Aufgrund dieser besonderen Gefahr hat die Einsatzleitung folgende Taktik gewählt: Der Brand wird mit Hilfe von Riegelstellungen, also feuchten Gräben und Schneisen, eingekesselt. Innerhalb dieser Schlinge soll das Feuer sich totbrennen. Wenn kein brennbares Material mehr übrig ist, geht das Feuer von alleine aus, so das Kalkül.

Auch Journalisten dürfen nicht einfach dort hinfahren, wo es brennt. Sie werden an ausgewählte Orte eskortiert. Etwas mehr als 30 Reporter versammeln sich für diese Kolonne, noch gut gelaunt, auf einem Parkplatz hinter dem Lagezentrum. Und warten. Der Pressesprecher des Landrats, Andreas Bonin, bemüht sich sehr, genug Autos zu organisieren. Für alle sei aber leider kein Platz. Wieso nicht, auf dem Parkplatz stünden doch zig unbenutzte Einsatzwagen, murmelt ein Reporter. Es wird diskutiert, wer mitdarf. Einige verzichten freiwillig.

Der Rest steigt ein. Es geht raus aus Lübtheen, gen Süden. Einmal links abbiegen und der Tross erreicht Trebs. Das Dorf ist neben Alt Jabel, Jessenitz-Werk und Volzrade eines von denen, aus dem Bewohner evakuiert werden mussten. Das Feuer war zu nahe gekommen. 650 Menschen waren von der Räumung betroffen. Wer nicht in den Sommerurlaub verreist war oder bei Bekannten unterkam, fand in der örtlichen Turnhalle Unterschlupf.

Leer ist sind die Dörfer dennoch nicht. Polizisten bewachen die Häuser vor Plünderern. Überall stehen Einsatzwagen, liegen Schläuche, brummen Generatoren, erholen sich Freiwillige auf Feldbetten. Am Himmel kreisen die Hubschrauber. Am Boden steht in Tarnfarben Oberstleutnant Stephanie Boddien. Als die Reporter ihre Kameras aufgebaut haben, stellt die Soldatin sich auf die Zehenspitzen, streckt die rechte Hand senkrecht nach oben und gibt ein Kommando. Extra für Presse und Fotografen fährt nun ein Panzer vorbei. Im Anschluss können Feuerwehrleute interviewt werden. Dann pfeift Boddien zum Abmarsch. Es sei Zeit, zurückzufahren, um 12 Uhr komme die Ministerin. Das interessiert nur niemanden. Die einen filmen einfach weiter die Helikopter - andere geben Widerworte. »So geht kein Journalismus«, beschwert sich ein Fotograf über die Inszenierung. Die Pressevertreter wollen endlich näher zur Brandstelle. Sie brauchen echte Bilder. In den sozialen Medien breiten sich Fotos und Videos schneller aus als die Glutnester auf dem Waldboden. Nur die Journalisten bekommen keine vernünftigen Bilder. Was das alles solle. Jemand von der »Schweriner Volkszeitung« spricht von Fake News.

Drei Meter Sicherheit

Der Tross fährt weiter und wenig später halten die Kleinbusse auf einem Erbsenfeld. »Aussteigen«, befiehlt die Militärfrau. Einer der Journalisten - es sind fast ausschließlich Männer, manche davon in khakifarbenen Outdoorhosen - macht noch einen Spruch über die Soldatin, die ja alle ganz schön im Griff habe. Ein anderer grunzt anzüglich. Dann hieven die beiden sich aus dem Auto.

Der Einsatz eines Pionierpanzers vom Typ »Dachs« wird angekündigt: 43,5 Tonnen schwer, 830 PS, 2 Mann. Die »Dachse« schlagen für die Feuerwehr dort Korridore in den Wald, wo früher Wege waren. Da liegt höchst wahrscheinlich keine Munition, und wenn doch, halten die Panzer das aus. Diese Schneise hier sei schon fertig, deshalb sei das jetzt natürlich etwas gestellt, sagt irgendwer von der Bundeswehr. Die Journalisten murren wieder. Nein, ganz gestellt sei die Sache auch wieder nicht, heißt es dann. Schließlich müsse der Panzer ohnehin noch ein drittes Mal durchfahren, um wirklich alles Gesträuch aus dem Weg zu räumen. Also schleifen die Kameraleute ihre Stative über den lockeren Waldboden. Ungefähr drei Meter breit ist die Sicherheit. Tritt einer einen Schritt zu weit nach links, wo alte Munition detonieren könnte, gibt sofort ein Soldat den Befehl, zurück in die Mitte des Weges zu kommen. Als alle am richtigen Platz stehen, rollt der »Dachs« los und einen ausgewachsenen Baum platt, zack. Nachdem der Panzer vorbei gefahren ist, drehen die Journalisten sich und ihre Kameras ruckartig, um Aufnahmen von der Rückseite des Gefährts zu bekommen. Ein Kameramann eines Privatsenders und eine Fotografin kommen sich dabei ins Gehege. Er schubst sie zur Seite und beleidigt sie. Auch bei diesem Journalisten scheinen die Nerven blank zu liegen.

Exklusive Luftaufnahmen

Wieder zurück beim Lagezentrum verteilt ein Soldat an circa 30 Journalisten zwei USB-Sticks mit exklusiven Luftaufnahmen vom Brand in Lübtheen. Einem freien Fotojournalisten ist das zu blöd. Er geht los, um auf eigene Faust näher an das Feuer heranzukommen. Das Unterfangen endet wenig später mit einem Platzverweis. Über die Ironie eines Platzverweises für ein ohnehin gesperrtes Gebiet lacht der Fotograf nur. Auch diejenigen, die sich an alle Regeln halten, werden zusehends ungehaltener. Landrat Sternberg hatte Einsatzkräften und Passanten offenbar untersagt, mit Medienvertretern zu sprechen.

Nach bis zu zwölf Stunden Arbeit diskutieren einige Kollegen im Presseraum, inwiefern dieser Umgang mit ihnen im Sinne der Sicherheit gerechtfertigt sein könnte - oder ob nicht doch andere Gründe wie ein gewisser Kontrollwunsch des Landrats dahinter stehen könnten. Während sie für den Tag ihre Technik zusammenpacken, versucht ein anderer noch immer, Verantwortliche von der Luftwaffe zu erreichen. Es ärgert ihn, dass Reuters im Helikopter mitfliegen durfte, er aber nicht. Diese Reglementierung zusammen mit einer extremen Ungleichbehandlung schade vor allem freien Journalisten, die fürs Überleben auf gute Bilder angewiesen sind, sagt er wütend. Er packt nicht nur für diesen Tag zusammen. Er reist ab.

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