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Wahrhaft europäisch

Kein typischer U-Boot-Film: In »Kursk« geht es um Eigennutz und Menschlichkeit in ausweglosen Lagen

  • Felix Bartels
  • Lesedauer: 3 Min.

So eigenartig, dass Thomas Vinterberg sich überhaupt dieses Stoffes bemächtigt, so folgerichtig scheint, dass er - wenn nun schon einen U-Boot-Film - gerade diesen dreht. Das Genre hat bislang wenig Gediegenes und eigentlich immer dasselbe hervorgebracht.

Meist geht es um eine Art Duell, den Kampf eines Mannes gegen einen anderen oder gegen eine übermächtige Flotte. »Duell im Atlantik« (1957), »U 23« (1958), »Das Boot« (1981) oder »Jagd auf Roter Oktober« (1990) erzählen diesen Kampf ganz konventionell, während »Crimson Tide« (1995) und »Black Sea« (2014) das Duell immerhin schon ins Innere des U-Boots verlegen. Wo diese Art Helden gezeugt werden, kann gedankliche Tiefe selten mit der ozeanischen mithalten.

In »Kursk« wird kein Torpedo abgefeuert, keine Schleichfahrt unternommen, kein Gegner ins Visier gefasst. Der Film erzählt die Tragödie der 118 Menschen, die im August 2000 während eines Manövers der russischen Marine ums Leben kamen. Hier geht es um Handeln und Helfen, Verlust und Schuld, Eigennutz und Menschlichkeit in ausweglosen Lagen. Was Vinterberg interessiert, das war nie der Held, der sich behauptet; Grundthema seiner Filme ist die Gruppe, die unter gesellschaftlichen Bedingungen zerfällt.

Und in der Geschichte der »Kursk«, in der ein solches Kollektiv gezeigt wird, schafft er ein großes Bild des modernen Menschen, der Technologien handhabt, die er nicht beherrschen kann, und von der Natur dafür bestraft wird. Der Kampf gegen die Natur ist zugleich einer gegen die eigene Natur, gegen Nachlässigkeit, Borniertheit, Hybris.

Dass »Kursk« dennoch matt bleibt, kann nicht am Stoff liegen, der nachgerade ideal ist, und es liegt auch nicht an den ästhetischen Mitteln, die genau kalkuliert sind. Nichts zum Beispiel wäre leichter gewesen, als den Effekt der Raumangst durch zahlreiche Close-ups und beständig schwankende Bilder zu erzeugen. Die Regie aber will, dass wir den Raum kennen, in dem die Angst entsteht, und holt sie vielmehr aus der Szene, der Arbeit am Licht und dem mimischen Spiel des Ensembles. Akustischerseits wird ausgerechnet Stille dramatisch. Das Meer schluckt jedes Geräusch, auch Hilferufe und mögliche Verständigung über die Rettung.

Das alles funktioniert gewiss, aber nur als persönliche Tragödie. Das hohle Pathos der Grabrede am Schluss, die klammheimliche Freude, wenn die Kinder dem kaltschnäuzigen Admiral den Handschlag verweigern, ziehen »Kursk« auf ein Niveau, das weder dem Thema noch seiner ästhetischen Bewältigung angemessen ist. Die ungefähre Rechtsgleichheit dramatischer Akteure wird missachtet, indem die russische Militärführung bloß narzisstisch agiert, die öffentliche Kränkung bei Annahme ausländischer Hilfe fürchtend.

Das britische Militär erscheint dagegen als eine einzige Ballung von Mitmenschlichkeit. Dass Russland indes gute Gründe hat, möglicher Spionage vorzubeugen, dass unter all dem, was man sieht, unausgesetzt ein Kampf lodert zwischen einer offensiven und einer in die Defensive geratenen imperialistischen Macht, dass also die Tragödie um die Mannschaft der »Kursk« im politischen Raum stattfand, davon will der Film nichts wissen.

Folgerichtig setzt sich der Cast aus Dänen und Deutschen zusammen, ergänzt durch große Namen aus England, Belgien, Schweden, Österreich und Frankreich. Dieses weit gefächerte Ensemble kann als wahrhaft europäisch gelten, denn in seine erste und zweite Reihe hat sich nicht ein Russe verlaufen. »Kursk« bleibt damit Kind seiner Zeit: Die vielstimmige Verständigung Europas findet unter Ausschluss Russlands statt.

»Kursk«, Frankreich/Belgien/Luxemburg 2018. Regie: Thomas Vinterberg; Drehbuch: Robert Rodat; Darsteller: Matthias Schoenaerts, Léa Seydoux, Colin Firth, Max von Sydow. 117 Min.

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